Ruderbruch
Ein ungewöhnlich klapperndes Geräusch an Deck weckt mich. Als
ich mich aufsetze sehe ich Katrin, die mir zuruft: "Komm schnell
an Deck". Mein Blick fällt auf die Uhr; es ist 07:10. Das Erste,
was ich sehe als ich an Deck komm: die Segel stehen back, die aufgehende
Sonne steht etwa 30° links vom Bug. Wir liegen also quer zum Wind;
Nordost 6. Das Schiff rollt heftiger als sonst. Katrin sagt, der Autopilot
geht nicht mehr. Sie hat das Ruder in Handbetrieb geschaltet, aber auch
darauf reagiert die "Grete" nicht. Der Ruderlagenanzeiger steht
mittschiffs, das Rad dreht leer; ohne jeden Widerstand. Als erstes bergen
wir die Breitfock, der Spitzer steht voll, die "Grete" ist etwas
abgefallen, geht aber nicht vor den Wind. Wir lassen ihn stehen. Ich entferne
das hintere Relingskleid. Nun kann ich nach unten sehen: das Ruder ist
noch dran, Gott sei dank. Als nächstes werfe ich einen Blick in den
Maschinenraum. Am Ruderquadranten kann ich nichts ungewöhnliches
entdecken. Dann nehmen wir den Kompass ab und schrauben den Deckel vom
Ruderstand ab, sowie die darunter liegende Einlassschraube von der Hydraulikpumpe.
Das Gehäuse ist leer. Keine Hydraulikflüssigkeit! Das Problem
ist erkannt, dem kann abgeholfen werden. Ich begebe mich in die vordere
Kammer, wo ich im Steuerbordschrank - in dem sich die Hydraulikpumpe der
Ankerwinde befindet - einen 5-Liter-Kanister mit Hydrauliköl weiß.
Nachdem ich einen Kleidersack und 20 Tetrapacks H-Milch ausgeräumt
habe, ist der Schrank leer: kein Kanister! Obwohl ich mir sicher bin,
dass er nur hier sein kann suche ich noch an verschiedenen anderen Orten;
doch nichts!
Dann kam mir ein Gedanke: als wir in Wilhelmshaven vor Wind lagen, haben
wir durch eine Werft das Fundament unserer Ankerwinsch verstärken
lassen. Der Wiedereinbau des Hydraulikmotors wurde von den Werftleuten
- entgegen unserer Absprache - zu einem Zeitpunkt vorgenommen, zu dem
wir nicht an Bord waren. Als wir aus der Stadt vom Einkauf zurückkamen,
war alles fertig und aufgeräumt. Ich vermute, dass die Werftleute
zusammen mit ihren Werkzeugen versehendlich auch unseren Hydraulikkanister
mit eingepackt haben.
Doch das nützte uns jetzt nichts. Katrin hatte in der Zwischenzeit
die Notpinne mit den dazugehörigen Taljen klargelegt. Ich scheute
aber noch davor zurück dieses Instrument zum Einsatz zu bringen.
Vor der hohen, achterlichen See würde sich die "Grete"
nur schwer damit steuern lassen. Wir hatten noch 7 Stunden bis Baia da
Palmeira auf der Kap Verdischen Insel Sal. Wir wussten beide nicht, wie
sich Hydraulik- mit Motorenöl vertragen würde, wollten aber
diesen Versuch wagen. Nachdem wir etwa einen halben Liter Öl aufgefüllt
hatten, arbeitete die Ruderanlage wieder normal. Wir setzten die Breitfock
erneut, probierten den Handbetrieb, dann die Selbsteueranlage: alles ok.
An unserer Steuerbordseite kam uns in ca. ½ Seemeile Abstand ein
Handelsschiff entgegen. (Von wegen man brauche auf diesen abgelegenen
Routen keine Wache zu gehen, wie von manchen Langzeitseglern behauptet.
Es war bereits unsere 6. Begegnung in 5 Tagen seit Hierro). Mit dem Glas
konnte ich die seitliche Aufschrift "Seatrader" lesen. Ich ging
an´s Funkgerät und rief auf Kanal 16: "Seatrader, here
is german sailigvessel Grete". Er antwortete sofort. Wir wechselten
auf einen Arbeitskanal, ich erklärte ihm unser Problem und bat ihn,
mit seinem Leitenden Ingenieur sprechen zu dürfen. Ich wollte herausfinden,
ob sich aus unserer Mischung von Hydraulik- mit Motorenöl Probleme
ergeben könnten. Nach einer Weile meldete sich eine schüchterne
Stimme mit indischem Akzent mit "Hallo". (Man merkt es sofort,
wenn jemand nicht gewohnt ist am Funkgerät zu sprechen). Ich erklärte
erneut die Sachlage. Die Antwort kam nur noch gebrochen, dann brach die
Verbindung ab. Schade.
Es war jetzt 8 Uhr. 50 aufregende Minuten waren vergangen. Während
Katrin das Frühstück vorbereitete räumte ich das Werkzeug
wieder ein. Die Fahrt ging weiter. Noch 35 Seemeilen bis Sal.
Reinhart
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