Bei der Atlantiküberquerung

 

 

 

Reisetagebuch

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September 20051. Bericht aus Nicaragua

Nachtrag aus Juni 2005

1000 Tage unterwegs

 

 

Ältere Tagebuchberichte:

Bitte zum Ende gehen.

Jahresrückblick

Doc-Version

Käserei

Wir haben in diesem Jahr mehr als 30 Inseln in Kuna Yala , wie die San Blas Indianer ihr Land nennen, besucht; manche auch mehrmals. Zweimal haben wir die "Thor Heyerdahl" getroffen, haben jeweils zwei Tage bei ihr längsseits gelegen. Es kam dabei zu einer für beide Seiten sehr fruchtbaren Zusammenarbeit. Während Katrin und ich Lichtbildervorträge für die Thorleute gehalten haben und von unseren Eindrücken und Erfahrungen mit den Kuna berichten konnten, gleichzeitig Hinweise auf die besten Tauch- ,Schnorchel- und Ankerplätze gaben, haben wir uns aus den Wasservorräten der "Thor" bedient; haben mit Hilfe der Techniker einige Probleme auf der "Grete" lösen können und wurden großzügig mit frischen Lebensmitteln beschenkt

Revolutionsfestspiele

Einmal ließ sich der Motor nicht starten, als Folge liefen wir beim Ankern unter Segeln auf Grund, konnten aber bereits nach 1 ½ Stunden mit Hilfe eines Tenders des Kreuzfahrers "Lirica" frei kommen.
Katrin hat zeitweilig im Gesundheitszentrum von Playon Chico als Kinderärztin gearbeitet.

Schülerparade am Nationalfeiertag

Höhepunkt dort- in Playon Chico - wahren die Revolutionsfestspiele, bei denen die Kuna in einem viertägigen Happening die erfolgreiche Revolution von 1925 aufleben ließen, bei der sie eine Teilautonomie durchsetzen konnten.
Am 21.3. feierten wir 1000 Tage unterwegs. Im Mai und Juni besuchten wir Deutschland. Im Juli - inzwischen zurück auf den San Blas Inseln - konnten wir zwei Yachten frei schleppen, die bei einem nächtlichen schweren Gewitter mit Sturmböen aufs Riff geworfen wurden. Der starke Motor der "Grete" mit seinen 150 PS machte es möglich.

Stolze Schülerin bei der Parade

Den August und September verbrachten wir in Nicaragua, wo wir im Auftrag von "Ärzte für die 3.Welt" eine rollende Klinik aufbauten. In den ärmsten Bergregionen Nicaraguas werden heute 5 abgelegene Dörfer jeweils einmal pro Woche ärztlich versorgt. Diese rollende Klinik aus dem Nichts heraus in nur 6 Wochen auf zu bauen und dann noch die ersten 2 Wochen zu betreiben, hat sehr viel Arbeit gemacht aber auch sehr viel Spaß.

Wochenenderholung am Pazifik in las Penitas

Was haben wir dort also gemacht? Zuerst sind wir die 5 ärmsten Provinzen des Landes abgefahren, haben mit vielen Leuten geredet. Mit den Pfarrern, den Leuten von Hilfsorganisationen, mit Ärzten in den Gesundheitszentren, mit den Direktoren der örtlichen Vertretungen des Gesundheitsministeriums etc. Dann haben wir 5 Orte in den beiden nördlichsten Provinzen ausgesucht, die uns am bedürftigsten erschienen. Orte, in denen bis zu 1000 Personen lebten und in denen es keinerlei Gesundheitsfürsorge gab. Wir haben ein Auto gekauft, einen Vierrad getriebenen Pickup mit Differenzialsperre; haben ein Bankkonto eröffnet, eine Unterkunft in einer kirchlichen Herberge gefunden, in der wir auch unsere Apotheke unterbringen konnten und dann sind wir an fünf Tagen der Woche zu den fünf ausgewählten Orten gefahren, in denen Katrin bis zu 120 Patienten pro Tag behandelt hat.

Patientenandrang in Zapote

Im Durchschnitt waren es 69 pro Tag. Die Orte waren nicht immer wirkliche Orte; zum Teil erreichten wir nach bis zu 2 ½ Stunden Fahrt auf Pisten, die einfach in die Natur dieser Bergregion geschlagen waren und wo unser Auto mitunter einer Bergziege gleich über Felsbarrieren geklettert ist, durch Schlammlöcher gekrochen und durch Bäche und Flüsse geprescht ist, ein einzelnes Häuschen. Eine "Casa base". Ein einzelner Raum von 3x3m in freier Natur, ohne Strom und Wasser und ohne dass man ein einzelnes Haus sah. Die Leute wohnten in einem Umkreis von mehreren Kilometern in Hütten in den Bergen verstreut.

Patienten kommen von weit und warten geduldig stundenlang in Terrero Grande

Und sie kamen in stundenlangen Fußmärschen zu uns; meist Mütter, die ihre kranken Kinder tragen mussten. Manche waren drei Stunden zu uns unterwegs und mussten dann wieder drei Stunden nach Hause laufen. Nicht selten von kräftigen Gewitterregen durchweicht. Und sie ertrugen ihr Schicksal mit einer waren Engelsgeduld. Keiner klagte über Hunger oder Durst - und hungrig waren sie alle: ein Dauerzustand in dieser Region.

der neue Toyota Hilux für Medicos Alemanes

Begleitet wurden wir immer von einer Krankenschwester des jeweils zuständigen Gesundheitszentrums, die die Kinder wog, Verhütungsmittel verteilte, Impfungen vornahm und den nötigen Papierkram erledigte.
Anfang Oktober kam dann ein Arzt aus Deutschland, der das Projekt nun weiter führt.

 

Für Katrin war es schon ein sehr wichtiger Aspekt mal wieder professionell arbeiten zu können und meine Arbeit als Organisator und Fahrer hat auch viel Spaß gemacht. Als Team fühlten wir uns wohl. So haben wir das Land natürlich viel besser kennen lernen können, als wenn wir dort als Touristen gereist wären.

Sprechstunde

 

 

 

 

Mittagspause

 

 

 

 

unsere Verabschiedung in der Pfarrei

 

 

 

 

das Einsatzteam

 

 

 

 

Reinhart im Kampf gegen die Röteln

 

 

 

 

nicht immer gibt es Brücken

 

 

 

 

 

die Kirche von Ciudad Antigua

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

General Sandino am Eingang des nach ihm benannten Ortes

 

 

 

Straße im armen Ciudad Sandino

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Warteschlange vor dem Consultorio in Ciudad Sandino

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Unsere Apotheke

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf dem Zug durch die Anden

Den Oktober verbrachten wir in Ekuador, wo wir mit meiner Schwester, meinem Bruder und Schwägerin, meinem Sohn, sowie meiner Nichte und deren Freund zusammen mit meiner Tochter und deren Mann und ihren zwei Kindern, welche in Ekuador zu Hause sind, eine 14 tägige Rundreise durchs Land machten.

auf dem Rio Guayapas

Wir haben eine spektakuläre Bahnfahrt durch die Anden gemacht, bei der wir in über dreitausend Metern Höhe, warm eingepackt, auf dem Dach des Zuges die Aussicht genossen. Die kleine Bahn klettert im Zickzack - also immer mal vorwärts, mal rückwärts fahrend - an den steilen Flanken der Schluchten empor. Wir sind am Basislager des höchsten, aktiven Vulkans der Erde, dem Cotopaxi, auf 4600m Höhe gewesen, hatten aber leider nur wenige berauschende Ausblicke, da sich Schneeschauer und Nebel ablösten.

zu Besuch bei Wilsons Familie

Wir haben meinen Geburtstag in einem Thermalbad auf dem Altiplano gefeiert und sind den Rio Guayapas knapp drei Stunden mit dem Einbaum mit Außenborder durch den Regenwald hinaufgefahren um die Familie meines Schwiegersohnes zu besuchen, die dort in dem kleinen Dorf Sta. Maria von der Agrarwirtschaft lebt. Bestaunen konnten wir dort ein Relikt aus vergangenen Tagen; nämlich eine Zuckerrohrpresse, die immer noch in Betrieb ist. Wir haben den frisch gepressten Zuckerrohrsaft getrunken und fanden ihn köstlich. Dort leben - in einem Nachbardorf - auch die Guayapa Indianer, die sehr schöne Flechtarbeiten herstellen.

 

Auch die haben wir besucht. Und natürlich waren wir auf dem größten Indianermarkt von Ekuador in Otavalo, haben aber feststellen können, dass die meisten der farbenprächtigen Erzeugnisse aus Alpacawolle aus Peru importiert waren. Die Otavalenos arbeiten hauptsächlich mit Schafwolle.

Indiofrauen auf dem Weg zum Markt

Und dann haben wir noch eine Woche im Hotel meiner Tochter Badeurlaub am Pazifik gemacht. Ganz am Anfang und ganz am Ende haben wir uns noch die wunderschöne Altstadt von Quito mit ihren imponierenden Bauten aus der Kolonialepoche angeschaut. Es war ein rundum schöner Besuch im Kreise meiner Familie.

am Basislager des Cotopaxi

 

 

 

Astrid und Katrin beim Reitausflug auf dem Altiplano

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Familienfoto bei den Wasserfällen in Otavalo

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Indianerkinder auf dem Rio Guayapas

 

 

 

 

 

 

 

Einbäume der Guayapa Indianer

 

 

Zuckerrohrpresse

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Familienfrühstück in Santa Maria

 

 

 

 

Werftzeit Colon

Zurück in Panama - wo wir die "Grete" sicher in einer Marina in Colon untergebracht hatten - brauchten wir dann 6 ½ Wochen um technische Reparaturen am Schiff zu beheben und die "Grete" für das nächste halbe Jahr mit Proviant und Ersatzteilen auszurüsten.

Werft Colon

Weihnachten waren wir dann wieder auf den San Blas Inseln. Wieder ein mal vertäuten wir unser Zuhause an einer Palme auf der winzigen Insel Waisaladup. Den Jahresausklang feierten wir zusammen mit fünf befreundeten Yachten auf der Insel Salar mit Grillen und Feuerwerk am Strand unter Palmen. Und so ging ein sehr schoenes und ereignisreiches Jahr zu Ende.
Reinhart

Werftzeit Colon

 

 

1. Bericht aus Nicaragua

Doc-Version

wunderschöner Ausblick von Zapote

Am 13.8. trafen wir in Nicaragua ein. Wir hatten von den Aerzten fuer die dritte Welt den Auftrag, in den fuenf noerdlichsten Provinzen des Landes Informationen zu sammeln, um dort eine rollende Klinik aufzubauan. Am 21. sollte dann Dr. Peter Fricke, der mit der Leitung der Projekte in Nicaragua beauftragte, zu uns stossen; zusammen wollten wir dann die Orte auswaehlen, in denen wir taetig werden wollten. So bereisten wir fünf Provinzen, sprachen mit einer Vielzahl von Leuten wie Pfarrern, den Leitern verschiedener Hilfsorganisationen, in allen größeren Orten mit dem Roten Kreuz, Organisationen wie der "Cooperativa Mujeres de Matagalpa" - einer Frauenhilfsorganisation - die ueber eine umfangreiche Bibliothek verfügte, in der sich auch eine Adressenliste aller in Nicaragua arbeitenden nichtstaatlichen Hilfsorganisationen befand. Mit Hilfe dieser Liste, die wir bereits am zweiten Tag entdeckten, kamen wir dann relativ rasch voran. Am Ende dieser Woche war uns ein klar geworden: überall wird Hilfe benötigt, am dringensten aber in den drei nördlichsten Provinzen und dort wiederum am aller dringensten weit draussen auf dem Land, wo es keine ärztliche Versorgung gibt, zum Teil keine Busse mehr verkehren und die Leute nicht das nötige Geld haben um Transport oder Medikamente zu bezahlen. Orte also, wo es am allernötigsten fehlt, wo der blanke Hunger zu Hause ist.
Am Sonntag traf dann Peter zusammen mit seiner Frau Marina - die sich um organisatorische Fragen in Ciudad Sandino kümmern sollte - ein; noch in der Nacht legten wir das Grundmuster fest, dass auf den von uns gesammelten Informationen beruhte und folgte den von uns vorgeschlagenen Routen. Am Montag leiteten wir den Kauf eines Autos in die Wege und ich telefonierte mit einigen Leuten im Norden, um Gesprächstermine für den nächsten Tag zu bekommen. Wollte ich jetzt über alles berichten, was wir bisher erlebt haben, würde es den Rahmen dieser Seite sprengen, so habe ich mir gedacht, ich tippe einfach mal wörtlich meine Tagebuchaufzeichnungen von zwei aufeinander folgenden Tagen . Fuer diese Fahrt hatten wir uns einen Toyota Hilux 2.8 D mit Vierradantrieb und Differenzialsperre gemietet
Di. 23.8.05

schlechte Wege durch schöne Natur

Um 6.00 Uhr starteten wir - Peter, Katrin und ich - nach Estelí, wo wir um 8.45 eintreffen. Der Diakon empfängt uns sehr herzlich. Nach einer ausführlichen Diskussion, an der außer dem Diakon und uns noch zwei Ärzte und Javiér teilnehmen, wird Javiér uns zur Verfügung gestellt, um die Municipios San Lucas, Las Sabanas und Cuzmapa mit uns abzufahren. Javiér ist ein ehemaliges Strassenkind, das im Waisenhaus des Padre Ter…
aufgewachsen und ausgebildet wurde, Seminarist war, sich dann aber statt für das Priesteramt für Frau und Kind entschieden hat und heute als Lehrer Aufklärungsarbeit über Aids leitet und HIV Infizierte bei der Caritas betreut. Gegen Mittag erreichten wir San Lucas. Der Besuch im Centro Salut vermittelte uns den Eindruck, dass hier engagierte junge Ärzte das Mögliche machen. Zwar fehlt es hinten und vorn, besonders an Medikamenten, wir aber sehen keine Möglichkeit hier helfend tätig zu werden. Das gleiche gilt dann auch fuer Las Sabanas und Cuzmapa. Einerseits freuen wir uns, dass hier mehr getan wird, als wir erwartet hatten, gleichzeitig nimmt uns diese Tatsache aber auch die Handhabe hier mit zu wirken. Unser Projekt fuer den Norden scheint in Frage gestellt. Als wir unseren Besuch in Cusmapa beenden ist es 16.30. Mit dem Diakon hatten wir uns fuer 18.00 verabredet. Die reine Fahrzeit bis hier hatte über drei Stunden gedauert. Laut Karte gibt es eine Strasse über Limay, die von der Entfernung her in zwei bis zwei einhalb Stunden zu schaffen sein müsste, allerdings hatte man uns von diesem Weg abgeraten, da er in sehr schlechtem Zustand sein sollte. "Nie pruebes", versuchts gar nicht erst, hatte der Diakon gesagt. Peter schlug vor einen einheimischen LKW-Fahrer zu befragen, da sich ja doch oftmals etwas veraendert. Wir fanden einen Fahrer und der erklärte Javiér einen Weg, der nicht in unserer Karte war (die Karte war sowieso miserabel) und der sei mit Allrad gut zu befahren. "Muy comodo", sehr bequem. Und so begannen wir den "Abstieg"; von Fahren konnte wirklich nicht die Rede sein. Limay lag etwa 1000m unter uns. Nach 2 ½ Std. Began die Nacht, dann fing es an zu schütten und dann fanden wir uns einem Flussufer wieder. Der Weg war hier zu Ende. In der Mitte des ca. 100m breiten Flussbettes befand sich eine langgestreckte, breite Bank aus Flussgeröll. Die beiderseitigen Flussarme führten nur ca 50cm Wasser, auf der gegenüber liegenden Seite war aber keine Fortsetzung des Weges zu erkennen und auch nicht möglich, da zu steil. Mit Hilfe der Scheinwerfer suchten wir das gegenüber liegende Ufer ab. Peter entdeckte oberhalb des Steilufers eine Hütte und während ich noch auf unserer Seite nach einer Fortsetzung des Weges suchte, kam er mit zwei Männern zurück. Sie zeigten uns eine Ausfahrt aus dem Fluss, die etwa 100m unterhalb der Einfahrt lag. So fuhren wir erst durch den einen Flussarm, dann das Geröllbett entlang und dann wieder durchs Wasser und mit Schwung die Böschung hoch. Das hatten wir geschafft, aber schon nach 50m kam Peter zum Stehen; vor uns schien sich eine unüberwindliche Hürde auf zu tun. Eine Treppe aus mehreren gewachsenen, ½ m hohen Felsstufen lagen quer ueber den Weg. Im immer noch strömenden Regen bauten wir eine Rampe aus kleineren Felsbrocken. Fast hätten wir es im ersten Anlauf geschafft, die Vorderräder waren bereits auf der obersten Stufe, doch der Wagen steckte fest. Sehr vorsichtig, damit der Wagen nicht wieder abrutschte hier ein paar Felsbrocken hin, dort einige weg, die Vorderräder 1 m nach rechts geschaukelt und dann Vollgas und alle Mann schieben und wir waren oben.

Weiter ging es über Stock und Stein in langsamen Schritttempo Richtung Limay. Kurz vor diesem Ort trafen wir auf eine Schotterstrasse, die uns nach Limay brachte und weiter in Richtung Estelí führte, wohin wir wollten. Eine Stunde hinter Limay endete der Weg an einem Fluss. Wir hatten uns verfahren. 30 Minuten zurück und wir fanden den richtigen Weg, bis dieser wiederum vor einem Fluss endete. Der durch die anhaltenden Regenfälle angeschwollenen Fluss - wiederum ca. 100 m breit - aber rasch fließendes braunes Wasser transportierend schien das Aus zu signalisieren, da tauchte aus dem Nichts ein kleiner Junge auf. Er bot sich an uns zu führen, ließ die Hose fallen und watete langsam in einem Bogen durch die braune Flut. Als er zurück war stellten wir ihn ans Auto. An seiner Unterhose konnten wir die Wassertiefe messen. Sie reichte bis zur Mitte unserer Scheinwerfer. Um das Auto leichter zu machen, liessen auch wir - Katrin, Javiér und ich - die Hosen runter und wateten ans andere Ufer. Peter folgte, würgte in der Mitte des Flusses den Motor ab, der aber sofort wieder ansprang, und nach wenigen Minuten war auch er auf der anderen Seite. Wir atmeten erleichtert auf, stiegen wieder in unsere durchweichten, schlammigen Sachen und weiter gings. An einer Weggabelung entschieden wir uns für links. Als wir ein kleines Dorf erreichten, fragten wir nach dem Weg. Wir hatten den Weg nach Pueblo Nuevo gewählt, wollten aber nach Estelí. Wieder 30 Minuten zurück und an der Gabelung den anderen Ast unter die Räder genommen. Doch hatten wir kein Glück, nach 20 Min. versperrte ein im Schlamm abgerutschter Tieflader, der quer über dem Weg stand und dessen Vorderräder im Graben hingen, den Weg. Also wieder zurück und den 70 km Umweg über Pueblo Nuevo nach Estelí gefahren, wo wir um 23.30 eintrafen. Beim dritten Hotel hatten wir Glück; es waren noch Zimmer frei. Schnell zogen wir trockene Sachen an und fanden als einzige Möglichkeit zur Nahrungsaufnahme eine Tankstelle. Alte Pizza aus der Mikrowelle war das einzig Brauchbare. Das Bier durften wir zwar kaufen, aber erst spaeter auf der Strasse trinken, da nach 24 Uhr der Alkoholgenuss in der Tankstelle untersagt war. Um 1.00 Uhr fielen wir totmuede ins Bett- nicht ohne den Wecker auf 5:50 Uhr gestellt zu haben - denn um 8:00 hatten wir einen Termin im knapp zwei Stunden entfernten Ocotal.

Kinder und Lehrer fegen anläßlich des Nationalfeiertags vor der Schule
mit Blick auf Occotal

Mi., 24.8.
Um 7:50 trafen wir an der Pfarrei von Ocotal ein. Da es als extrem unhöflich gilt zu früh zu einer Verabredung zu kommen, vertraten wir uns noch kurz die Beine im Park. Punkt 8:00 klopften wir am noch geschlossenen Sekretariat. Ein über das ganze Gesicht strahlender Padre - Franzisco Robles - öffnete uns mit den Worten: (dabei an mich gewannt) " Ich habe gewusst, dass dieser Mann pünktlich sein wird". Darauf Peter:
"Und Reinhart hat mir gesagt, dass dieser Pfarrer uns pünktlich erwarten wird". So begrüßten wir uns lachend und ohne Zeit zu verlieren teilte der Padre uns mit, dass er für eben jetzt ein Treffen mit dem Direktor der Gesundheitsbehörde, sowie mit den leitenden Ärzten der umliegenden Muncipios (Kreisstädte mit meist so um die 5000 Einwohnern) verabredet habe und schob uns in Richtung Auto. Der Direktor begrüsste uns etwas verwundert; die Ärzte würden erst um 9:00 Uhr kommen, die Wege seien weit. Uns war das recht, denn so konnten wir zusammen mit dem Padre erst mal frühstücken. Immerhin waren bereits um 6:00 Uhr in Estelí mit nüchternem Magen losgefahren. Und so schmeckte das typische Nicaragua-Frühstück: Eier, Reis, Bohnen, Tortillas, Käse und süßer, schwarzer Kaffee denn auch besonders gut und wir konnten unsere Vorstellungen gegenüber dem Padre in Ruhe darlegen.

Schuljungen

Das Treffen mit den Ärzten brachte eine überraschende Wende in unsere Strategie: sie boten uns an, dass wir in einigen - sehr abseits gelegenen - Centros de Salut (Gesundheitszentren), die wegen Ärztemangel und wegen Geldmangel für Benzin und Medikamente geschlossen seien, arbeiten könnten. Wir sollten Arzt, Auto und Medikamente stellen, dann würden sie Räumlichkeiten, Krankenschwestern, Helfer und die Dokumentation übernehmen. Nach kurzer Diskussion einigten wir uns auf fünf Kreise in denen wir in jeweils einem abgelegenem Ort einmal pro Woche Sprechstunde halten wollten. Dieses Angebot war so gut, dass wir schnell ja sagten. Nach vielen Küsschen auf die Wange, bzw. Schulterklopfen, verließen wir das Gesundheitsamt. Pater Franzisco bot uns nun an, uns auf einer Tour durch einen Landkreis zu begleiten und zwar zu dem entferntesten Ort, der etwa 2 ½ Autostunden entfernt liegt. Die Idee fand Anklang, doch musste der Padre vorher noch zu einer Festlichkeit anlässlich des 26. Jahrestages des Militärs. Es lag an unserem Weg und so lud er uns ein, ihn dorthin zu begleiten. Kaum dort angekommen wurden wir zu Grillfleisch und Cola eingeladen und natürlich wurden wir sofort in die Liste der Schützen aufgenommen, die an einem Wettschiessen teilnahmen. Geschossen wurde mit russischen AKN Karabienern. 10 Schuss liegend auf 100 m . Der Colonel gab uns persönlich die Einweisung in den Gebrauch der Waffe und dann schossen wir in einer 10er Gruppe. Katrin und ich brachten jeweils einen Treffer in die äußere Ecke der Scheibe; Peter war der Held des Tages, denn obwohl er noch nie geschossen hatte, landete er 8 Treffer mit 76 Punkten. Dann brachen wir auf in eine wunderschöne Landschaft. Wir fuhren noch einen kleinen Umweg und so konnten wir grandiose Ausblicke über Wald- und Feldlandschaft genießen bis hinüber zur honduranischen Grenze. Nach gut der Hälfte der Strecke änderte sich die Vegetation dramatisch.

Sierra in Dipilto

Der Hochwald und kräftiges Grün wich einer Trockenlandschaft mit Dornenbüschen. Wir erreichten Las Brisas. In einer Buschsteppe lagen eine Schule und das Centro de Salud. Häuser, besser Hütten, lagen weit verstreut in der Ebene. Die Leute hier waren wirklich bettelarm. Wir wussten gleich: dies war der Ort den wir suchten. Hier wollten wir arbeiten. Auf dem Rückweg machten wir noch einen Abstecher nach Santa Maria, dem Capital des Municipio, zu dem Las Brisas gehörte. Mal gerade 1500 Einwohner. Natürlich mussten wir auch diesmal wieder durch verschieden kleine Bäche und zwei Flüsse. Als ein kräftiger Gewitterregen dem bisher sonnigen Tag ein Ende setzte, trieb uns Padre Franzisco zur Eile an; das Wasser würde sehr bald steigen. Wir kamen aber gut durch und nach Einbruch der Dunkelheit (hier 19:00Uhr), besuchten wir noch den Ort Ococona, der als zweiter auf unserer Liste steht. Viel haben wir nicht mehr gesehen, wurden aber noch von einer alten Frau zu Käsetortillas eingeladen. Um 21:00 Uhr erreichten wir Ocotal. Nun mussten wir noch schnell mit Padre Franzico zu einer Abschiedsfeier. Die ehemalige Alcaldessa (Buergermeisterin) von Ocotal gab eine Abschiedsfeier zu Ehren eines jungen Deutschen, der hier als Zivildienst ein Jahr unter ihrer Leitung in der Kinderbibliothek gearbeitet hatte. Gleichzeitig war es das Willkommen für seinen Nachfolger, ebenfalls ein Zivi. Doña Martha wird hier wie eine Heilige verehrt. Sie hat unheimlich viel für die Bevölkerung von Ocotal, besonders für die Kinder geleistet, solange sie unter den Sandinisten im Amt war. Inzwischen ist die ex Alcadessa zur Frau des Jahrhunderts von Ocotal gewählt worden und mit einer Statue im Stadtpark geehrt. Um 23:00 waren wir endlich wieder in unserer Alberge - die von der Kirche betrieben wird und in die uns der Padre eingeladen hatte. Während ich diesen Bericht schreibe, in eine Kladde auf den Knien im Bett, fallen mir schon fast die Augen zu. Der heutige Tag war so positiv verlaufen, dass wir alle sehr zufrieden - wenn nicht gar glücklich sind.

1000 Tage unterwegs

Doc-Version

An einer Palme vertäut

Tausend Tage sind eine lange Zeit wenn man sie noch vor sich hat; eine nicht ganz so lange, wenn sie bereits hinter einem liegt. Liegt sie hinter einem, so ist es ein guter Zeitpunkt - glaube ich - einmal darüber nach zu denken; nicht so sehr, was passiert ist, was wir erlebt haben, sondern was mit uns passiert ist, welchen Einfluss diese tausend Tage an Bord auf uns selbst hatten (und noch haben).
Vor tausend Tagen, am 26.Juni 2002, haben wir in Bremerhaven die Leinen losgeworfen. Wir hatten ein fest umrissenes Ziel. Wir wollten die Welt umsegeln. Wir hatten einen detaillierten Zeitplan ausgearbeitet. Er sah vor, dass wir zügig, aber ohne Hast, die Welt umrunden wollten. Berücksichtigt hatten wir die meteorologischen Gegebenheiten auf der Strecke. Wir wollten die Passat- und Monsunwinde nutzen, wir wollten den Hurrikan- und Taifunzeiten ausweichen, wollten zweimal - in Panama und in Singapur - jeweils für zwei Wochen in die Werft gehen, um notwendige Überholungsarbeiten am Schiff ausführen zu lassen. Und wir wollten nach 1135 Tagen zur Sail Bremerhaven 2005 am gleichen Ort die Leinen wieder festmachen. Wir hatten einen weiteren, sehr dominierenden Grund, den Törn auf drei Jahre zu begrenzen. Wir wollten mit einem Kind um die Welt segeln. Wir waren (und sind) der Überzeugung, dass es ein durchaus sehr gutes Klima für einen Säugling und späterem Kleinkind sein müsste, an Bord auf zu wachsen, wo Vater und Mutter 24 Stunden am Tag für das Kind da sind. Katrin wollte dazu drei Jahre Erziehungsurlaub nehmen. Doch dann kam alles anders. Unser Sohn wurde tot geboren. Neben Trauer und Verzweiflung bedeutete dies für Katrin aber auch noch einen ganz erheblichen weiteren Schritt. Es bedeutete entweder die Reise aufzugeben oder ihre unbefristete Stellung als Oberärztin. Die Entscheidung für die Reise war schwer, aber aus heutiger Sicht letztendlich richtig.

Entspanntes Segeln

Wenn ich schreibe ohne Hast, dann war damit gemeint, dass wir etwa ein Drittel der Zeit segeln wollten und zwei Drittel irgendwo - in einem Hafen, in einer geschützten Bucht, hinter einer Insel an einer Palme vertäut - verbringen wollten. Mir schien diese Teilung - ein Drittel Segeln und zwei Drittel Erholung - eine gute Mischung zu sein zwischen aufregenden, aber auch anstrengenden Segelpassagen und erholsamen (und hoffentlich ebenfalls aufregenden) Ruhephasen. Zweimal innerhalb von drei Jahren für jeweils zwei Wochen in die Werft zu gehen, schien mir ausreichend. Insbesondere, da ich einen (eiskalten) Winter in Dänemark in der Werft verbracht hatte. Mir läuft noch heute ein Schauder den Rücken hinunter, wenn ich an die Nächte bei zehn oder fünfzehn Grad Minus denke, das Deck aufgerissen und notdürftig mit Planen abgedeckt, die offenen Plankengänge im Logis mit Wolldecken verhängt; der kleine Petroleumofen schaffte eine "behagliche" Wohnlichkeit von vielleicht fünf Grad. Aber dann - Ende Dezember - war es geschafft: Alle maroden Planken waren ausgewechselt, die 25mm-Sperrholz-Decksaufbauten durch 45mm Oregonpine im 70mm Eichenrahmen ersetzt. Das gesamte Unterwasserschiff wurde mit 1,5mm Kupferplatten verkleidet um den unliebsamen Bohrmuscheln kein Futter zu liefern; das Rigg in der Halle komplett überholt, wobei mir der 17m Mast mitsamt Baum, Gaffel, Rah, Klüverbaum und Toppsegelspiere (alles Douglastanne) einmal im frisch lackierten Zustand von den Böcken rutschte und im Sägemehl landete, so dass ich alles wieder abwaschen musste. Gleich am nächsten Tag konnte ich das Abwaschen wiederholen, denn ich konnte die Halle nur nach Feierabend nutzen und bei den niedrigen Temperaturen war der Lack am nächsten Morgen noch nicht annähernd trocken, als einer der Gesellen die Kreissäge in Betrieb nahm und alles mit einer hübschen Schicht aus Sägespänen überzog. Erst am folgenden Wochenende konnte ich mein Werk vollenden. Dann habe ich das stehende Gut überholt, das laufende Gut zum größten Teil - dort, wo nicht bereits geschehen - gegen Roblontauwerk ausgetauscht..
Jetzt endlich konnte ich die "Grete" nach Bremerhaven versegeln. (Kein angenehmes Unterfangen im Winter, so musste ich allein 14 Tage in Cuxhaven vor Wind liegen, bis die "Grete" ihren Liegeplatz bei den Traditionsschiffen der Schiffergilde in Bremerhaven einnehmen konnte).

Ulu mit Grete

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle einmal erwähnen, dass es sich bei der "Grete" um einen ehemaligen, 1937 als Segler mit Hilfsmotor gebauten, Gaffel getakelten Krabbenkutter von der Nordsee handelt. Seit 1968 hat sie einen 150 PS-Sechszylinder-Deutz-Diesel und seit 1978 ist sie aus der Fischerei genommen. Heute trägt sie am Wind 130m² auf 5 Segel verteilt und vor dem Wind mit Breitfock und Spitzer 54m².
In Bremerhaven angekommen warteten fünf weitere arbeitsreiche Monate auf uns. Gestänge für den Windgenerator und die Windmessanlage, hydraulische Selbststeueranlage (wer möchte schon gern neben aller sonstigen Arbeit auch noch täglich 12 Stunden am Ruder stehen?), Solarpanele auf die Heckdavits, einen 100 Liter Benzintank für Außenborder und unseren 1 KW Generator, ein weiterer 100 Liter Tank für Petroleum für unseren neuen Herd fand hinter dem Kühlschrank Platz, 60 cm hohe Relingstützen auf das Setzbord; ein Klüvernetz musste her, um sicherer nach vorn gelangen zu können. Die Koje musste verbreitert werden, dafür Einbuße bei der Tischbreite; was für Wochenendtörns ausreichend ist, ist noch lange nicht gut genug für jahrelanges Wohnen an Bord. Die alte, handbetriebene Ankerwinde von 1962 wurde hydraulisch aufgerüstet. Auch hier galt die Überlegung: was in der Ostsee, bei meist drei bis fünf Metern Ankerplatztiefe gut ist, hält den Anforderungen einer langen Reise mit oftmals 50 Meter Kette und mehrfachen Ankerversuchen wegen schlechtem Ankergrund nicht stand. Diese Liste könnte ich noch lange fortsetzen, aber die Aufzählung dieser vielen Kleinigkeiten sprengt den Rahmen dieser Betrachtung. Und natürlich mussten viele, viele Ersatzteile beschafft werden. Ganze Tauwerksrollen und ein neuer Satz Segel waren selbstverständlich, aber vieles, was wir gerne noch mitgenommen hätten, scheiterte am Platzmangel - wir konnten ja schlecht ein Beiboot mit Ersatzteilen hinter uns herziehen.
So ausgerüstet glaubte ich zwei Jahre Ruhe zu haben mit Wartungsarbeiten und Neuanschaffungen. Außer natürlich den permanent anfallenden Malerarbeiten. Ich glaubte ernsthaft, die geplante Werftzeit nach einem Jahr in Panama würde eigentlich nur der Kontrolle dienen. Wie weit von der Wirklichkeit lag doch meine Einschätzung!
Doch zurück zu unserer Abreise. Wir hatten den 4.Mai gewählt, weil das der fünfzigste Jahrestag meiner ersten Ausreise als Schiffsjunge war. Ein weitere Grund, den Mai zu wählen, ist die Tatsache, dass der Mai - statistisch - die größte Wahrscheinlichkeit von Ostwind bietet. Aber daraus wurde nichts. Zwar war der Ostwind da, aber wir nicht fertig.
Manche Handwerker überzogen ihr Zeitlimit um mehrere Wochen und Katrin hatte nach der Geburt gesundheitliche Probleme.
Doch dann, am 26.Juni war es endlich so weit. Ein gutes Dutzend Freunde und Verwandte gaben uns noch das Geleit vom Neuen Hafen bis zur Kaiserschleuse; dann hieß es endgültig Abschied nehmen. Als wir in die Weser ausfuhren verwehte der kräftige Südwest die Luftballons über dem Deich. Der Südwest nahm rasch zu, Katrin wurde das erste Mal in ihrem Leben seekrank und der Abend fand uns unplanmäßig am Anker auf der Jade wieder. Noch eine volle Woche lagen wir in Wilhelmshaven vor Wind, bis wir endlich - mit fast zwei Monaten Verspätung - unsere Reise fortsetzen konnten.

In der Hängematte

Was jetzt kam, war Spaß und Stress zugleich. Spaß, weil wir unterwegs waren, Stress, weil wir keine Zeit hatten. Freunde und Verwandte werden auf uns warten - auf den Kanalinseln, in Lissabon, auf den Kanaren - und wir sind viel zu spät dran. Also motoren, motoren und nochmals motoren, solange der Südwest anhielt. Spätabends in die Häfen rein, frühmorgens mit der passenden Tide wieder raus; die Nächte durch zu segeln kam wegen Katrins angegriffenem Gesundheitszustand noch nicht in Frage. So sahen wir kaum etwas von Holland, Belgien, Frankreich, England und Spanien. Nur zwei Tage in den spanischen Rias, nur zwei Tage in Porto - ich mag kaum dran denken, was uns dort alles entgangen ist. Erst in Lissabon hatten wir unseren Zeitplan eingeholt. Um einiger ruhiger Tage willen auf Graciosa (Kanaren), strichen wir Madeira aus unserem Programm. Von jetzt an verlief alles nach Plan. Die Kanaren, die Kapverden, der Atlantik. Zwei Tage verspätet liefen wir in Point-a-Pietre auf Guadeloupe ein; die letzten Tage auf dem Atlantik waren geprägt durch eine wunderbare Windstille. Hätte kein Besuch auf uns gewartet, hätten wir diese Zeit noch mehr genießen können. Planmäßig segelten wir dann die ostkaribischen Inseln ab nach Süden. Als uns die letzten Freunde auf St. Lucia verließen, die ihr Kommen schon lange vorher angekündigt hatten, holten wir erst mal tief Luft und lehnten uns zurück. Es war schön mit ihnen, kein Zweifel, aber erst jetzt waren wir Herr über unsere Zeit. In der Marigot Bay lud ich Katrin zum Essen ein. Es war ein wundervoller Abend und wir fassten einen tollen Entschluss: Wir wollten ab sofort nur noch einige Eckpunkte unseres Zeitplans berücksichtigen, im Übrigen aber fahren oder bleiben wie es uns gefiel. Das war im Februar, der nächste Eckpunkt war ende Mai, dann wollten wir Grenada verlassen um der drohenden Hurrikangefahr zu entgehen. Noch immer waren wir im Plan. Dann ging es nach Venezuela. Wir wollten die Islas las Roques und die Islas las Aves besuchen. Vorgesehen hatten wir dafür zwei Wochen. Zuerst allerdings mussten wir nach Margarita zum Einklarieren - und blieben 14 Tage. Dann drei ungeplante Wochen auf Blanquilla; wie haben wir diese unbewohnte Insel genossen. Und nun war klar: unser Zeitplan war nicht zu halten. Wir entschlossen uns, ein Jahr einzuschieben - und haben es nie bereut.

Neues Armband

Als wir Bonaire erreichten, hatten wir seit Margarita sechs Wochen auf den venezolanischen Inseln verbracht. Von früheren Reisen wusste ich um die fantastische Unterwasserwelt Bonaires. Wir hatten bereits früher beschlossen hier einen Tauchschein zu machen. Wir machten den für Anfänger, wir tauchten weitere 30 Stunden allein, wir machten den für Fortgeschrittene, wir nahmen an einer internationalen Regatta teil, wir blieben dreieinhalb Monate und wir beschlossen, dass es wenig Sinn macht, bei Bedarf hier ein Jahr ein zu schieben und dort ein Jahr ein zu schieben. Wir warfen einfach den gesamten Zeitplan über Bord. Die geplante Route sollte erst einmal weiter Bestand haben, aber es sollte den Orten keine Zeiten mehr zu geordnet sein. Wir wollten fortan bleiben wo und solange es uns gefällt und weitersegeln, wenn uns danach war.
Natürlich war das alles nicht so einfach, wie es sich hier ließt. Jeder dieser Entscheidungen gingen lange Diskussionen, sorgfältiges Abwegen des Für und Wider voraus. Fragen, wie die nach den untergestellten Möbeln, nach der auf Zeit vermieteten Wohnung, vor allem der Frage, wie lange kann Katrin aus dem Beruf fortbleiben, ohne nicht komplett den Anschluss zu verlieren, wurde viel Raum gegeben. Und natürlich spielte die nunmehr länger anhaltende Trennung von Freunden und Familie eine fundamentale Rolle. Wenn die Überlegungen zu keinem Ende kamen, setzten wir uns ein Zeitlimit, bis zu dem die Entscheidung gefallen sein musste. Das half; danach waren wir jedes Mal erleichtert und sahen der Zukunft wieder zuversichtlich entgegen.

Stromschnellen

Inzwischen hatte sich herausgestellt, dass wir dringend in die Werft mussten. Unsere Schraube wurde schnell kleiner. Die Kupferbeplankung und die eiserne Schraube und das eiserne Ruder verlangten weit mehr Zinkanoden als wir angebracht hatten. Wir ließen die Ersatzschraube, die noch in Dänemark lag, nach Curacao kommen und vereinbarten dort einen Werfttermin. Einen Tag vor dem Slippen teilte uns die Werftleitung mit, dass sie uns nicht rausholen konnten. Ihr Slippwagen war für moderne Yachten ausgelegt und passte nicht zu unserem Unterwasserschiff. Kurzfristig wurde ein Slipptermin mit dem Yachtclub vereinbart. Als die "Grete" halb aus dem Wasser war, streikte die Winsch. Angeblich war die "Grete" zu schwer. Wir waren bis dahin von ca. 24 to ausgegangen - ohne es genau zu wissen. Nun hieß es, sie wiege mehr als dreißig Tonnen. Die dritte und letzte Möglichkeit war eine Großschiffswerft. Nach dreitägigen Verhandlungen erklärte sie sich bereit die "Grete" aus dem Wasser zu nehmen - verlangten dann aber einen so horrenden Preis, dass wir absagen mussten. Nun war guter Rat teuer. Die nächste Möglichkeit war in Cartagena. Ich hatte mich bisher, aus Sicherheitsüberlegungen heraus, immer gegen Kolumbien ausgesprochen; Katrin wollte gerne hin. Viele Segler, die wir trafen, redeten mir gut zu. Kolumbien sollte man zwar meiden, aber Cartagena sei als einzige Stadt sicher und Werften gebe es genug. Die fünf Tage nach Cartagena waren die anstrengendsten unserer bisherigen Reise. Platt vor dem Wind ließ sich bei 5-6 Bft. alles gut an. Aber dann wurden die Seen ungewöhnlich hoch und steil, eine unangenehme Kreuzsee kam hinzu, die "Grete" arbeitete schwer und plötzlich kam die Rah samt Breitfock von oben. War nicht ganz einfach, die zwischen Himmel und Erde wild hin und her schwingende Rah zu bergen, aber dann ging es mit Groß, Klüver und Fock weiter, nur konnten wir jetzt nicht mehr platt vor dem Wind segeln, mussten vor dem Wind kreuzen. Da aber ein Halsen bei diesem Wind und dieser See zu gefährlich war, fuhren wir jeweils eine Q-Wende und weil die "Grete" gegen diese See nicht durch den Wind zu bringen war, halfen wir mit der Maschine nach; bis diese nicht mehr starten wollte. Nun mussten wir Halsen, nahmen dazu aber vorsichtshalber jedes Mal das Groß weg, um es hinterher wieder zu setzten. Auch das - bei Nacht und kaum zu bändigender Gaffel, mit nur Katrin und mir als Crew - keine einfache Sache. So waren wir heilfroh, als wir mit Schlepperhilfe, wegen inzwischen fehlendem Wind, in Cartagena einlaufen und den Anker vor dem Club Nautico fallen lassen konnten.

Cartagena, in dieser liebenswerten Stadt, die zum Weltkulturerbe ernannt wurde, blieben wir zweieinhalb Monate und wer weiß - hätten sich nicht schon Monate vorher Freunde zu Besuch angemeldet und bereits die Flugtickets nach Panama gekauft - wir wären wohl noch länger geblieben. Natürlich standen die Werftarbeiten im Vordergrund, aber die Stadt hatte so viel zu bieten, dass wir nie müde wurden sie immer wieder aufs Neue zu durchstreifen. Cartagena ist eine lebendige Stadt, aber anders als alle anderen südamerikanischen Städte die ich kenne, ist sie nicht laut: sie ist lebendig und beschaulich zu gleich. Wie haben wir die lauen Abende genossen, wenn wir über eine der vielen Plazas schlenderten, an kleinen, fahrbaren Imbissständen Arrepas (mit z.B. Ei oder Fleisch gefüllte Maismehlfladen) kauften, den Straßenmusikanten zu hörten oder uns in einem der vielen Staßencafés nieder ließen, dem bunten Treiben zusahen und einen kühlen Drink schlürften. Katrin nutzte gleichzeitig die Gelegenheit ihre Spanischkenntnisse zu erweitern; sie hatte bereits auf Bonaire Unterricht genommen. Aber dann kam der Tag der Abreise. Zwei Tage hatten wir bereits verstreichen lassen, obwohl unsere Freunde bereits auf uns warteten, da das Wetter zu schlecht für die Überfahrt nach Panama war. Dann aber ging es endlich los. Der Wind war günstig, aber die See ging immer noch hoch; und steil. Dreimeterwellen auf dem Atlantik stellen wirklich kein Problem dar, aber hier waren sie sehr kurz und steil und liefen chaotisch durcheinander. Die "Grete" wurde kräftig hin und her geworfen und krachte immer wieder gegen diese steilen Wasserwände. Gerade hatten wir in der Werft alle Plankennähte neu kalfatet und glaubten das Schiff trocken. Schon bald gaben aber die Verbände der rauen See nach, je länger wir unterwegs waren, desto mehr Plankenstöße ließen Wasser eindringen. Wenn wir gehofft hatten, dass nun endlich mal alle Schränke trocken bleiben würden, so hatten wir uns getäuscht - am nächsten Morgen fanden wir alle unsere CDs in Salzwasser gebadet wieder (und so manches andere auch). In der Nacht dann hörte ich ein verdächtiges Rauschen aus dem Maschinenraum. Der Schalldämpfer war durchgerostet und bei jedem Überholen des Schiffes ergoss sich ein Schwall Wasser ins Schiff. Ein Froteehandtuch, ein Brett und einige Holzkeile schufen erst mal Abhilfe und dann erreichten wir die Inseln. Herrmann Melville nannte die Galapagosinseln "die Inseln der Seligen".

Pflanzenausbeute eines Kunaheilers

Auf die San Blas Inseln trifft dieser Ausdruck mindesten ebenso zu. Seit einem Jahr halten wir uns jetzt in diesem Archipel auf. 360 Inseln, davon nur etwa 70 bewohnt, lagern auf 200 km Länge der Küste Panamas vor. Hier, in Kuna Yala, dem Land der Kuna, dem semiautonomen Gebiet der Kuna Indianer, haben wir eine für uns neue Art des Segelns kennen gelernt. Zeit zu haben, sich die Zeit zu nehmen, die man braucht, ist eine für uns neue Erfahrung. Nicht nur in der Fortbewegung, sondern auch im Lebensrhythmus selbst. Viel haben wir hier erlebt, wir sind auf Urwaldflüssen - Streckenweise auch auf Wildwassern - ins Landesinnere eingedrungen, haben dort Indianerdörfer besucht; wir haben vor palmenbestandenen Inseln geankert; haben im glasklaren Wasser der Korallenriffe geschnorchelt und sind mit riesigen Rochen und Haien auf Tuchfühlung getaucht. Und hier haben wir vor fast einem Jahr am Strand einer unbewohnten Insel, umgeben von Palmen, unter einem Zeltdach - bestehend aus unserer Breitfock, die uns bereits von Europa nach Amerika gezogen hatte - geheiratet. Ein Richter kam extra, erst mit dem Flugzeug, dann mit dem Einbaum, aus Panama City auf unsere Hochzeitsinsel Ordupbanedup, um uns zu trauen.
Vor allem haben wir sehr guten Kontakt zu den Indianern herstellen können, haben von ihnen viel über ihre Kultur, ihre Traditionen, ihre Lebensweise erfahren. Bereitwillig haben sie von sich erzählt - und wir waren immer gute Zuhörer. Die Zeit, die wir uns nahmen, hat es auch ermöglicht, dass Katrin immer wieder wochenweise im Centro Salut von Ukupseni, einem kleinen Krankenhaus mit nur vier Betten, als Kinderärztin aushelfen konnte. Es gibt in der gesamten Comarca San Blas - wie Kuna Yala auf spanisch genannt wird und wo ca. 35 Tausend Kuna leben - keinen Kinderarzt. Es hat einiger Anstrengungen bedurft, doch dann kam die Genehmigung des Gesundheitsministeriums aus Panama, dass Katrin ohne Bezahlung und nur unter der Aufsicht des ärztlichen Direktors der Klinik, der selbst sein einziger Arzt und zeitweilig auch noch der Krankenhauskoch ist, arbeiten darf.

Untersuchung an Bord

Diese Arbeit erstreckt sich allerdings nicht nur auf das Krankenhaus in Ukupseni sondern auch auf eine ganze Reihe von kleinen Inseln und Dörfern auf dem Festland, die mit dem Kayuko des Krankenhauses in unregelmäßigen Abständen angefahren werden um dort die ärztliche Versorgung wahrzunehmen. Durch diese Tätigkeit bekamen wir sehr gute Eindrücke vom Leben der Kunas; bald schon war die "Grete" hier bekannt wie ein bunter Hund. Wo immer wir auftauchten, wurden wir überaus freundlich von den Indianern begrüßt und willkommen geheißen. Und natürlich stellen sich dann auch schon mal "Patienten" ein. Eltern, die um Rat und Medikamente für ihre kranken Kinder nachsuchen. In solch akuten Fällen kann Katrin sich natürlich nicht verweigern - und die Kuna danken es uns durch ihre Freundlichkeit.
Das ist allerdings nur der äußere Aspekt. Uns selbst hat diese Art des Lebens und Reisens auch gewandelt. Wir sind nachdenklicher geworden, sehen viele Dinge des Lebens mit anderen Augen. Die übliche, alltägliche Politik aus den heimatlichen Gefilden: es ist nicht mehr unsere Welt; ist Lichtjahre entfernt. Natürlich sind wir nach wie vor politisch interessiert; von Interesse sind die wirklich wichtigen Entscheidungen - insbesondere die von weltpolitischer Bedeutung; auch die Lokalpolitik der von uns jeweils besuchten Länder ist von Interesse. Die Deutsche Welle und BBC helfen den Anschluss nicht gänzlich zu verlieren.
Insgesamt also eine neue Erfahrung, die wir nicht missen wollen. Von den Weltumseglern, als die wir gestartet waren, haben wir uns zu Weltumbummlern gewandelt. Das Ziel, die Welt zu umrunden, ist nicht mehr vorrangig. Das Leben an Bord ist die Hauptsache - wobei wir die Weltumsegelung nicht aus dem Auge verlieren wollen. Mal sehen, was die nächsten 1000 Tage für uns bereit halten.

Reinhart

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