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Tagebucheintrag April 2005 Fahlgelber Himmel, die eben aufgegangene Sonne verbirgt sich hinter grauen
Wolken; davor, einem Scherenschnitt gleichend, die dunkle Silhouette einer
Palmeninsel. Der Außenborder stört die Stille der Natur empfindlich
während ich das Dinghy langsam durch die kurzen, steilen Wellen steuere.
Wir sind auf dem Wege von Iskartupu - wo die "Grete" vor Anker
liegt - nach Ukupseni, wie Playon Chico in der Sprache der Kuna genannt
wird. Ich fahre Katrin zum Centro Salut, wo sie ,wie immer in diesen Tagen,
morgens um sieben ihre ehrenamtliche Arbeit als Kinderärztin aufnehmen
wird. Üblicherweise fährt sie allein, doch heute bringe ich
sie hin, denn ich will auf gar keinen Fall den Höhepunkt dieses Tages
versäumen. Irgendwann in den frühen Morgenstunden werden aufständische
Kuna zwischen den Hütten hervorbrechen und die verhassten Polizisten
der panamesischen "Policia colonial" umbringen: Ein ganzes Dorf
spielt Geschichte; die Geschichte der Kunarevolution vom Februar 1925.
Der Tag des Aufstandes jährt sich heute zum 80ten Male. Wir sind
eingeladen daran teil zu nehmen. Seit Monaten schon redet jeder hier im
Ort von diesem Fest - und jeder, den wir hier kennen, hat uns aufgefordert
zu kommen und zu sehen, wie die Kuna das Joch der Kolonialherren abschüttelten
und ihre Freiheit wieder gewannen.
Doch zuerst zu den Geschehnissen von 1925:
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Die Krieger |
Anfang der 20er Jahre hatte die Regierung Porras in Panama ein Gesetz
erlassen, welches die Assimilierung der Kuna zum Inhalt hatte. Man wollte
kein Vielvölkerstaat sein. Es war erklärtes Ziel, die Kultur
der Kuna verschwinden zu lassen. Auf den größeren Inseln wurden
Polizeiposten errichtet und die von den Kuna "Policia colonial"
genannten Polizisten begannen systematisch das Kulturgut der Kuna zu verbieten.
So wurde das Tragen von Nasenringen verboten - falls die Frauen sie trotzdem
trugen, wurden sie ihnen brutal herausgerissen - ebenso das Tragen der
Molablusen; auch diese wurden ihnen vom Leib gerissen, falls sie sich
dem Verbot wiedersetzten. Verboten wurden die Versammlungen im Versammlungshaus,
das Flötenspiel, der Tanz nach Flöte und Rassel. Des weiteren
das Beerdigungsritual in der Hängematte (darüber werde ich noch
mal etwas berichten) und das Trinken von Chicha, einem berauschenden Getränk,
dass unbedingt zum Ritual der Frauwerdung der jungen Mädchen gehört.
Die Polizei ließ Tanzhäuser errichten und zwang die jungen
Frauen sich westlich zu kleiden und eng mit ihnen zu tanzen. (Wenn Kuna
tanzen, kommt es niemals zu körperlicher Berührung). Vergewaltigungen
waren an der Tagesordnung.
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Krieger mit Holzgewehren |
So kam, was kommen musste: in einer spontanen Aktion erhoben sich die
Einwohner einer Insel und schlugen die Polizisten tot oder vertrieben
sie und obwohl es keinen Telegrafen gab und das Ulu - der Einbaum - das
einzige Verkehrsmittel darstellte, verbreitete sich die Nachricht in Windeseile
und im Umkreis von 100 km schlossen sich noch am gleichen Tage mehrere,
größere Inseln dem Aufstand an.
Dank der Vermittlung der Amerikaner - die Fregatte Cleveland befand sich
in der Nähe - kam es zu keiner Vergeltungsaktion. Die "Kulturgesetze"
wurden aufgehoben und schrittweise bekamen die Kuna mehr und mehr Rechte,
bis sie 1953 zum semiautonomen Gebiet erklärt wurden und seither
Kuna Yala (die Comarca San Blas) selbstständig regieren. Fast hätten wir die Spiele verpasst. Wir hatten die letzten Tage
an einer Palme der Insel Waisaladup festgemacht und einige Überholungsarbeiten
am Schiff durchgeführt. Katrin hatte Arbeitspause, da Dr. Cheng,
der ärztliche Direktor und in Personalunion auch sein einziger Arzt
und zeitweiliger Koch, in Panama City weilte und Katrin nur arbeiten darf,
wenn er anwesend ist. Als wir dann den Motor starteten, stellten wir eine
Leckage am Druckschlauch der Brennstoffzufuhr fest. Nach mehreren vergeblichen
Versuchen das Leck zu dichten, kam uns ein befreundeter Segler zu Hilfe,
indem er uns ein kleines Metallrohr schenkte und nachdem ich den Schlauch
an der Leckstelle durchgeschnitten hatte, das Metallröhrchen eingeführt
und mit Schlauchschellen den Schlauch wieder darüber befestigt hatte,
war der Schaden notdürftig behoben und wir konnten die Leine an der
Palme loswerfen und uns auf den 28 sm langen Weg nach Playon Chico machen.
Spät am Sonnabend kamen wir an. Am Sonntagvormittag begaben wir uns
dann in den Ort. Die Revolutionsfeiern sollten heute beginnen . Sogleich
als wir den Ort betraten, fielen uns die vielen Polizisten auf, die im
Gegensatz zu den üblicherweise ordentlich uniformierten Ordnungshütern
ziemlich abenteuerlich gekleidet waren und in undisziplinierten Haufen
durch die Straßen zogen. Schon nach wenigen Minuten waren wir verhaftet
und wurden in ein provisorisches Gefängnis eingeliefert. Hier klärte
sich aber alles sehr schnell auf. Ein junger "Polizist" erzählte
uns den Hergang der Revolution. Er spielte eben am Tage des Aufstandes
einen Angehörigen der damaligen "Policia colonial" und
verhaftete willkürlich Leute auf der Straße oder aus den Häusern
heraus. Nachdem wir einen kleinen Beitrag zur Finanzierung der Festspiele
geleistet hatten, wurden wir wieder auf freien Fuß gesetzt. Vorher
erzählte er uns noch, dass die Spiele am Nachmittag beginnen würden
und dass am Abend eine Tanzveranstaltung stattfinden würde. Einen
richtigen Zeitplan gab es nicht; auf unsere wiederholten Fragen, um wie
viel Uhr denn ein bestimmtes Ereignis stattfinden würde, erhielten
wir immer wieder die Antwort, so genau könne man das nicht sagen,
man würde schon sehen, wenn es los geht. Also gingen wir im Ort spazieren
und setzten uns später mit einer Cola auf die Bank vor einem kleinen
Laden, der direkt an dem zentralen Platz lag. Einige Jungendliche spielten
Basketball. Nichts deutete auf ein ereignisreiches Wochenende hin.
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Moonchild (Albino) |
Nach und nach versammelten sich die Einwohner um den Platz - einige brachten
Plastikstühle oder Holzbänke mit. Fast unbemerkt betraten zwei
Männer den Platz. Sie ließen sich in dessen Mitte nieder und
begannen auf ihren Panflöten zu spielen. Die Jugendlichen machten
noch ein paar Würfe auf den Korb, dann verließen sie den Platz.
Die Männer saßen sich im Schneidersitz gegenüber, spielten
und wiegten ihre Oberkörper im Takt der Musik. Ein sehr friedliches
Bild. Doch dann kamen einige Polizisten dazu. Zuerst gingen sie an den
Flötenspielern vorbei, kehrten jedoch um und beschimpften sie, verließen
den Platzt erneut und kehrten wiederum zurück. Immer wieder gingen
sie an den Flötenspielern vorbei.
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Zwei Freunde |
Zuerst knufften sie sie, dann traten sie mit Füßen nach ihnen,
zum Schluss verprügelten sie die beiden und schleppten sie dann zum
Gefängnis. Nun betraten zwei Männer den Platz und wie ihre Vorgänger
ließen auch sie sich in der Platzmitte nieder und begannen Körbe
zu flechten. Wiederum betraten die Polizisten die Szene und die Handlung
wiederholte sich. Auch diese beiden wurden misshandelt und inhaftiert.
Ende des ersten Aktes. Wir bestiegen unser Dinghy und fuhren an Bord.
Nach dem Abendessen - es war inzwischen dunkel geworden - fuhren wir erneut
nach Ukupseni; wir hofften eine schöne Vorführung traditioneller
Tänze zu erleben. Aber schon auf dem Weg zum Tanzplatz, der in der
Mitte der Hautstraße lag, wunderten wir uns, dass wir keine Flötenmusik,
sondern moderne Tanzmusik hörten. Und tatsächlich: der Tanzplatz
hatte sich in eine Disco verwandelt. Wir waren enttäuscht und wollten
schon gehen, als wir Lao begegneten. Lao ist eine etwas ungewöhnliche
Person - jedenfalls nach unseren Maßstäben. Er trägt die
Haare sehr lang, schminkt sich die Lippen, trägt aber Männerkleidung.
Wir hatten seine Bekanntschaft schon früher gemacht. Er hat uns sehr
viel über sein Volk erzählt. Meist wohnt er in Panama City,
wo er Kunsthandwerk seiner Leute verkauft und als Fremdenführer arbeitet.
Heute hatte er sich besonders schön gemacht; auf seinen gepflegten
langen Haaren trug er eine strassbesetzte Krone und so tanzte er zu den
Merengueklängen allein oder mit einem "Polizisten".
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Vater und Sohn |
Jetzt erfuhren wir von ihm, dass diese Disco keine Disco war, sondern
die Nachbildung einer Tanzveranstaltung, wie sie von den damaligen Polizisten
veranstaltet worden waren; und er spielte seine Großmutter, die
seinerzeit zum Tanz gezwungen wurde. Es war frappierend, wie sich Gegenwart
und Vergangenheit in diesen Tagen ständig im täglichen Leben
begegneten. So hatten wir - trotz des Ernstes der Lage - keineswegs den
Eindruck, dass sich die jungen Leute beim schwungvollen und zeitweilig
auch engen Tanzen unwohl fühlten; im Gegenteil, sie schienen es durchaus
zu genießen. Bemerkenswert schien mir aber, dass keine Frau in traditioneller
Tracht tanzte. Wir sahen noch eine ganze Weile dem bunten Treiben zu.
Dann fuhren wir an Bord; gespannt, was der nächste Tag bringen würde
Nun, und jetzt war also Montag. Ich erfuhr, dass die Spiele gegen neun
Uhr beginnen sollten und zwar würde es ein Drama in acht Akten sein
- verteilt über drei Tage. Die einzelnen Akte würden jeweils
zu dem Zeitpunkt und an dem Tag aufgeführt werden, wie es das historische
Vorbild verlangte.
Kurz vor neun traf ich mit Katrin zusammen. Es waren heute nur wenige
Patienten in die Sprechstunde gekommen und so konnte sie frühzeitig
das Krankenhaus verlassen. Kaum war sie auf dem freien Platz beim Schiffsanleger
eingetroffen, brach das Spektakel los.
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Kampfgetümmel |
Aus allen Seitengassen, die auf den Platz mündeten, kamen Gestallten
in roten Hemden und weißen Stirnbinden gerannt, die Gesichter rot
bemalt, um die Augen herum geschwärzt, mit grimmigen Minen, kamen
sie in gebückter Haltung, formierten sich zu einer langen Schlange
- die älteren vorweg, die Jüngeren, bis herab zu etwa 10 Jahren,
hinterher - umkreisten sie den Platz, ihre Holzgewehre im Anschlag, die
Machete zum Schlag erhoben, schlängelten sie sich durch die Zuschauer,
warfen ihnen furchteinflößende Blicke zu, bedrängten sie
oder schrieen sie an, bevor sie sich weiter in der Runde bewegten - Raubkatzen
gleich. Dann plötzlich brach aus einer Seitengasse ein Trupp hervor,
der zwei gefangene Polizisten vor sich her trieb. Ich kann mir nicht helfen,
aber die Stöße mit den Gewehrkolben, die Hiebe mit der flachen
Seite der Machete sahen verdammt echt aus; Fausthiebe und Fußtritte
warfen die Opfer auf den Zementboden, wo sie weiter malträtiert wurden,
während an die fünfzig Rothemden um sie herum tobten, wilde
Schreie ausstießen und mit ihren Waffen drohten. So ging es eine
ganze Weile weiter, bis die Opfer schließlich unter schrecklichen
Zuckungen "ihren Geist aufgaben".
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Junge Krieger |
Nun wurden sie geschultert und unter Triumphgeheul vom Platz getragen,
umgeben von all den anwesenden Rothemden. Nur Minuten später strömte
die ganze Horde zurück auf den Platz, formierte sich in der Mitte
zum engen Kreis, wo sie - ihre Waffen gen Himmel reckend - in Rufe ausbrachen
wie: "Es lebe Kuna Yala", "Es lebe die Revolution".
Nun löste sich die Masse der Kämpfer auf und in kleinen Trupps
verschwanden sie lautlos in den Gassen zwischen den Hütten. Ende
des zweiten Akts.
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Vater stirbt in den Armen des Sohnes |
Ähnlich verliefen auch die nachfolgenden sechs Akte. Mal wurden
Polizisten gefangen, mal wurden sie verjagt, wurden noch im Wasser weiter
verfolgt, wenn sie sich schwimmend in Sicherheit bringen wollten. Ein
besonders ergreifender Teil stellte die Geschichte nach, in der ein junger
Mann seinen eigenen Vater erschoss, weil dieser bei Nacht - von einer
anderen Insel kommend - auf den Anruf in der Sprache der Kuna - auf Spanisch
antwortete, so für einen Polizisten gehalten wurde und durch die
Kugel seines eigenen Sohnes fiel. Vater und Sohn wurden durch Enkel und
Urenkel der Beteiligten dargestellt. Die Szene war so ergreifend gespielt,
dass es - zum einzigen Male - Applaus auf offener Bühne gab.
Der letzte Akt am dritten Tag zeigte die Tötung eines kleinen Kindes
- dargestellt durch eine Puppe - (tatsächlich wurden 1925 einige
Mischlingskinder, die durch Vergewaltigung gezeugt worden waren, umgebracht),
sowie die Begnadigung eines Kollaborateurs.
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Kollaborateur wird zurückgebracht |
In der Tat wurde dieser 1925 erschlagen, aber die Regie glaubte kurzfristig
eine Änderung gerechtfertig, um damit den Willen zum friedlichen
Miteinander zu demonstrieren. Fragwürdig, ob dieses sicherlich noble
Ziel eine Verfälschung der Geschichte rechtfertigt.
Wie dem auch sei: für uns waren diese Tage ein großes Erlebnis.
Wir haben viel über die Geschichte gelernt und wir waren sehr beeindruckt,
wie die Kuna ihre Geschichte nicht nur darstellten, sondern lebten. Und
während wir sonst, wenn wir etwas fotografieren wollten, oft um Bezahlung
gebeten wurden, so waren die Darsteller - und mit ihnen das ganze Volk
- während der Festspiele ständig bereit für uns zu posieren.
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Revolutionsflagge wird gehißt |
Oft forderten sie uns direkt auf, eine Szene oder eine Person im Bild
fest zu halten. Sie waren sehr stolz auf die Revolution und wollten, dass
wir davon in der Welt berichten.
Reinhart
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Tagebucheintrag vom 3.3.05
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Mein morgendlicher Arbeitsweg |
Reinhart hat ja schon im letzten Jahr berichtet, wie es sich ergeben
hat, dass ich in Playon Chico gefragt worden bin, ob ich nicht für
einige Zeit als Kinderärztin im Ort arbeiten könnte. Nachdem
ich dann tatsächlich die Genehmigung vom Gesundheitsministerium bekommen
habe, habe ich im November begonnen im Centro Salud in Playon Chico (Ukupseni)
mitzuarbeiten. Erschwert wurden die Arbeitsbedingungen dadurch, dass mein
Spanisch nicht gut ist und Kuna kann ich gar nicht sprechen - viele Frauen
aber sprechen kein Spanisch.. So habe ich bei Dr. Chen mitgearbeitet,
dem medizinischen Direktor und einzigen Arzt im Centro Salud. Meine tropenmedizinischen
Erfahrungen liegen ja schon sehr lange zurück, so konnte ich viel
lernen und habe es genossen seit Bremerhaven zum ersten mal wieder als
Kinderärztin zu arbeiten. Andererseits gibt es hier im ganzen Archipel
der San Blas Inseln keinen Pädiater, so dass ich ab und zu mit einem
kinderärztlichen Rat helfen konnte.
Der überwiegende Teil der Patienten im Krankenhaus waren Kinder.
Entsprechend den Wachstumskurven waren 91% von ihnen unterernährt,
fast alle haben Läuse, viele Krätze, die meisten eitrige Hautinfektionen
und auch Parasiten sind sehr verbreitet. Die Zahl der HIV Infektionen
ist sehr hoch, aber genaue Zahlen liegen nicht vor, denn hier kann kein
"AIDS"- Test gemacht werden.
In diesem Artikel veröffentliche ich Auszüge aus dem Tagebuch,
dass ich während meiner Arbeit geschrieben habe, denn für mich
war es eine sehr spannende Zeit und ich möchte gerne über meine
Erfahrungen berichten. 2.Tag
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Centro salud in Playon Chico, "mein" Krankenhaus |
Heute sind wir mit 14 Leuten aus dem Krankenhaus in einem Motorboot (Lancha)
mit Außenborder zu einer Outpatient Klinik nach Aidirgandi gefahren.
Outpatient Klinik bedeutet, dass ein Ort, in dem es sonst als einziges
medizinisches Personal nur einen kurz ausgebildeten Schwesternhelfer gibt,
einmal im Monat Arzt, eventuell auch Zahnarzt, Schwestern und Krankengymnastin
kommen, um vor Ort Patienten zu untersuchen, zu behandeln und zu impfen.
Aber anstatt wie geplant um 6.00 loszufahren, haben wir bis 8.00 vergeblich
auf Impfstoffe gewartet. Das Turismoaero Flugzeug ist nicht gekommen.
Beim Aufstehen war es noch dunkel, aber dann sah man langsam Licht am
Horizont über Playon Chico und schließlich ging auch die Sonne
auf. Der Wind blies heftig aber der Himmel versprach einen schönen
Tag.
Als ich um 6.00 Uhr in der Klinik ankam, saßen noch alle beim Frühstück,
Dr. Joaquin Chen schmierte Brote für unterwegs. Und da wir dann noch
viel Zeit hatten, haben wir uns in sein Zimmer gesetzt, Büro und
Wohnung in einem, sehr einfach aber mit spektakulärem Blick über
das Meer und die Inseln und er hat erzählt: Seit 21 Jahren arbeitet
er schon auf den San Blas Inseln, 16 Jahre in Ailigandi, 5 in Playon Chico.
Und er möchte nirgendwo anders arbeiten als auf den San Blas Inseln.
In der Stadt gefällt es ihm nicht, gerade die Natur, das Meer, die
abenteuerlichen, schönen und anstrengenden Fahrten zu der outpatient
Klinik, bei der er unterwegs zu seinen Patienten einfach mal die Angel
auswerfen und fischen kann, das ist die Arbeit die er liebt. Und in der
Politik oder einem Büro will er schon gar nicht arbeiten, ohne seine
Patienten möchte er nicht sein.
Ich nutze auch die Gelegenheit nach den Kontakten zu den Naturheilern
zu fragen. Diese sind nicht so gut, wie man sich vorstellen könnte.
Schade ist es, das die Alten oft Schwierigkeiten haben einen Nachfolger
zu finden.. Die Pflanzen müssen aus großer Entfernung aus dem
Wald geholt werden, mit den entsprechenden Gebeten und Gesängen,
sonst funktioniert es nicht. Die traditionellen Heiler bitten jede Pflanze
vor der Ernte um ihre Erlaubnis, "erklären" für welchen
Zweck sie gebraucht wird.. Bei vielen Krankheiten hilft diese Heilmethode,
bei Malaria und besonders in der Geburtshilfe. Studien vor ca. 10 Jahren
haben ergeben, dass 98% aller Krankenhaus Patienten vorher bei ihrem Heiler
waren. Den müssen sie auch bezahlen und er gibt keinen Kredit, ist
sogar recht teuer. Im Krankenhaus kostet ein Arztbesuch 25 Cent, Medikamente
und Laboruntersuchungen kosten extra. Aber niemand muss wieder gehen weil
er nicht bezahlen kann, etwas muss gezahlt werden, soviel wie man eben
kann, der Rest ist Kredit - und wird oft nicht gezahlt. Das Krankenhaus
hat ausstehende Kredite von über 10.000Dollar. Oft gibt es für
Medikamente keine finanziellen Mittel und dann kauft Dr. Chen selbst in
Panama in einer Apotheke ein. Patienten mit Fieber können eben nicht
warten bis irgendwann mal wieder Geld für Tylenol da ist. Auch die
einzige Putzfrau im Krankenhaus wird so bezahlt. Die Regierung hat für
diese Tätigkeit kein Geld eingeplant.
Dr. C. ist eigentlich immer im Einsatz, rund um die Uhr, nachts ist es
allerdings meist ruhig, 20 Tage im Stück, dann hat er wieder frei
und kann für 10 Tage zu seiner Familie nach Panama City fliegen.
Nur wenigen Kollegen gefällt dieses Leben. Eine Stelle für einen
Kinderarzt ist unbesetzt. Drei Pädiater waren schon hier, einer hat
es sogar 8 Monate ausgehalten. Dann wollte auch er lieber wieder in die
Stadt und auch Privatpatienten behandeln.
Und dann berichtet Dr. C. mir noch über andere Probleme in den Orten:
San Blas ist die Provinz mit der 3. höchsten Rate des Landes an HIV
Infektionen. Tests können hier nicht gemacht werden, also wird auch
nur selten behandelt. Und viele Kinder werden schon HIV positiv geboren.
Das Problem entsteht deshalb, weil man über Sexualität nicht
spricht, es ist ein Tabu, Kondome werden nicht benutzt. So kann sich die
Krankheit immer weiter verbreiten.
Ein anderes Problem sind die Drogen: Marihuana und Cocain sind reichlich
auf dem Markt, von den kolumbianischen Handelsschiffen eingeschmuggelt,
werden sie vor Kontrollen über Bord geworfen und von Fischern gefunden.
Diese verkaufen sie dann weiter, das bringt dann manchmal plötzlichen
kurzzeitig viel Geld und in manchen Orten konsumieren die Jugendlichen
die Drogen auch. Um 8.00 warten wir dann nicht mehr auf die Impfstoffe, sondern fahren
los, wir müssen ja noch bei Tageslicht zurücksein. Es geht nach
Aidirgandi, 1,5 Stunden mit der Lancha mit 40 Ps Außenborder. Die
Benzinpumpe ist kaputt, der Fahrer muss immer mit der Hand pumpen. Und
Dr. Chen und der Zahnarzt kommen zum Fischen. Aber erfolglos, es schwimmen
zu viele Algen im Wasser, die sich ständig im Haken verfangen.
Die Hinfahrt geht ja noch, es ist sehr bewegt, zum Glück wird mir
nicht schlecht, das wäre mir auch zu peinlich gewesen.... Ich finde
es schon beeindruckend wie sich die meisten freundlich vertraut unter
den Regenjacken näher kommen. Eine reicht meist für 3, man lacht
lehnt sich an, schläft an der Schulter des Kollegen. Die Zufahrt
nach Aidirgandi ist nicht einfach, es geht erst an dem Ort vorbei, dann
hinter einem Riff, parallel zur Küste zurück.. Alle Männer
steigen aus der Lancha, schieben und ziehen sie mit uns Frauen über
eine Sandbank. Angekommen wird unser ganzes Gepäck (Impfstoffe, Kanülen
und Spritzen, eine Waage, ein Tisch, der klappbare Zahnarztstuhl, Papiere
und Akten, Medikamente, unser Essen und Trinken, eine Bodenmatte etc.
von allen an den Strand getragen und in dem für uns leergeräumten
Klassenzimmer (die Schule fällt aus) aufgebaut. Die Schüler
bekommen noch ihre tägliche Speisung (Trockenmilch und besondere
Kekse) und sind begeistert, dass sie frühzeitig nach Hause gehen
können.
Dann kommen die Patienten. Es sind überwiegend Kinder bis 5 Jahre.
Sie werden gemessen gewogen, geimpft, von uns untersucht. So gut wie alle
liegen unterhalb der Percentile (Wachstumskurve), die als Grenze für
Unterernährung gilt. Ist das wirklich Unterernährung? Es sind
keine Kuna spezifischen Kurven, sondern panamaische, auch die Eltern sind
kleiner als die landesdurchschnittliche Bevölkerung. Andererseits
liegen Größe und Gewicht bei der Geburt im Normbereich. Entsprechend
diesen Wachstumskurven haben 91% der Kinder eine signifikante Unterernährung.
Kaum zu glauben. Aber diese Diagnose sorgt dafür das alle das Nahrungssupplement
"Cream" (diese mit Vitaminen und Mineralien angereicherte Trockenmilch)
bekommen. Und vor allem deswegen sind sie eigentlich hier. Bis März
oder April werden die monatlichen Arztbesuche wegen der hohen Wellen ausfallen
müssen, in diesen Monaten bläst der Wind zu stark.. Die Dörfer
sind von der Umwelt abgeschnitten. Im März sieht man dann wie viele
Kinder diese Zeit nicht überlebt haben. Es sind immer einige der
Kleinen in den ersten 2 Lebensjahren, die gestorben sind.
Auffallend ist, dass die Kunas auf der einen Seite zu den ärmsten
Einwohnern Panamas gehören, die Kinder mangelernährt sind, aber
die Frauen und oft auch die Kinder Goldschmuck. tragen. Aber das ist eben
ein sehr wichtiges Zeichen um sich darzustellen, schön zu sein, der
Tradition zu entsprechen.. Meist ist es der Name in Gold, über der
Mola getragen, so dass jeder ihn lesen kann. Da ist dann der Goldschmuck
wichtiger als das Essen für die Kinder. Sie sind die letzten die
von dem Essen, dem Fisch bekommen. Erst der Vater, der hat ihn ja gefangen,
muss hart körperlich arbeiten und die Familie versorgen, dann die
Mutter, zuletzt die Kinder. Und wenn die nach 2 Bissen nicht mehr wollen,
wird nicht lange überredet. Wie anders als in Deutschland....Wenn
die Kinder dann allerdings erwachsen sind, haben sie kein Risiko Bluthochdruck,
Diabetes oder einen Herzinfarkt zu bekommen, das ist hier unbekannt. Außer
bei mangelernährten Kindern, die im Krankenhaus in Panama zu schnell
auf ein zu hohes Gewicht gepäppelt wurden und außer bei Kunas,
die in den Städten leben.
Als wir abfahren hat der Wind aufgefrischt, die Wellen deutlich zugenommen.
Wir haben Schwierigkeiten uns und das Gepäck in die Lancha zu bekommen.
Dr. C. meint, in Deutschland ist es leichter zu seinen Patienten zu kommen.
Ja, aber das macht es hier doch aber auch so schön oder? Er meint
er sei der einzige Arzt der es so sehe. Seit 20 Jahren besucht nur er
dieses Dorf um die Menschen zu versorgen.
Nach 1,5 Stunden, nach anstrengender rauer Fahrt mit 2 Meter hohen Wellen,
ständig auf der Hut vor den großen treibenden Baumstämmen
kommen wir durchnässt und frierend an der Grete an. Ich werde nach
hause gebracht und von einem gut gelaunten Team froh verabschiedet. Bis
morgen. 3.Tag
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Centro salud in Playon Chico |
nachdem mich die anderen gestern mit der Lancha abgesetzt haben, fiel
der Motor aus. Überhitzt. Durchnässt mussten sie auf der nächsten
Insel frierend warten und heute hat Dr. Chen ganz schön geschnieft.
Als erstes habe ich ein junges Mädchen gesehen, die nachts einen
gesunden Jungen geboren hatte. Im Raum saß auch eine alte Frau.
Die Großmutter? Nein, eine Frau aus dem Ort, die sich mit Heilkräutern
auskennt und Schwangere ab dem 6. Monat begleitet. Sie gibt die traditionelle
Medizin, sie ist im Kreißsaal dabei, sie versorgt die Gebärende,
wäscht sie etc. es ist ein gutes Beispiel wie völlig selbstverständlich
die traditionelle Medizin auch in Kooperation mit dem Krankenhaus stattfindet.
Und lange sind die Kreißenden nie da. Sie sind nicht gerne im Krankenhaus.
Deshalb bleiben sie bis zur letzten Minute zu Hause, dann folgt noch der
Fußweg und beim Eintreffen ist der Muttermund meist vollständig
geöffnet. Am nächsten Tag gehen sie nach hause. Und bei der
Geburt gibt es keinen Mucks, kein Weinen, Schreien oder Stöhnen,
sie sind einfach nur still, aber in keiner Weise in ihrem Bewusstsein
eingeschränkt oder müde. Diese Wirkung der traditionelle Behandlung
aus Waschungen, Getränken, Gesängen und Rauch, finde ich unglaublich
und beeindruckend!
Erst langsam trudelten die Patienten ein. Eigentlich wollten wir ja auch
heute zu einer outpatient Klinik fahren, aber der Wind war zu stark. Vielleicht
fahren wir morgen.
Schön waren die Kinder gekleidet, wenn sie sich bei uns vorstellten,
in ihren besten Sachen und altersunabhängig sogar fast immer mit
Schuhen.
Ein Neugeborenes hatte in 3 Wochen 100g abgenommen. Es wurde geschimpft
und sehr deutlich gemacht das, wenn die Mutter nicht länger stillt,
das Kind nicht aufweckt, wird es wahrscheinlich sterben, oder muss nach
Panama City zur künstlichen Ernährung. Diese Art des Elterngesprächs
finde ich schon sehr befremdlich.
Das andere Kind von knapp 2 Jahren war auch krank, immer wieder Lungenentzündungen,
vielleicht Tuberkulose, schon 2x war es in Panama, 2 x wurde es beatmet,
aber die Eltern haben nie die Tuberkulose Medikamente lange gegeben. Wieder
wurde geschimpft und ich fand es so traurig, fast hätte ich geweint
wie immer wieder ausgemalt wurde, dass sie, wenn sie nicht aufpassen,
beide Kinder verlieren werden. Beide Kinder werden sterben.... vielleicht.
Die Eltern waren still, bedrückt, haben sonst nichts gesagt oder
keine Gefühle gezeigt. Was denken sie wohl? Trotz aller kulturellen
Unterschiede, diese Art mit Eltern zu sprechen, ihnen Angst zu machen,
sie zu bevormunden, kann ich kaum aushalten und finde ich auch hier in
keiner Weise angemessen.
Wenn schwer kranke Patienten zur Behandlung nach Panama müssen, stellt
sich mir die Frage: wer bezahlt den Flug? Die Eltern oder Patienten selbst.
Wenn sie nicht zahlen können, können sie nicht ins Krankenhaus
kommen. Nur in sehr selten Fällen kann eine Militärmaschine
zur Abholung bestellt werden. Wer hat schon 80 USD für ein Retour
Ticket? Und wenn sie da sind, geht es weiter: wo sollen sie wohnen, wovon
das Essen bezahlen und wie finden sie die Klinik, nicht alle Kuna sprechen
Spanisch, kennen sich aus, kennen die Busse, Panama City ist ein anderes
Land, eine andere Welt. Und wie kommen sie von der Klinik zurück
zum Flughafen? Eine Mutter hatte Geld für ein One way ticket. Schnell
wurde ihr Kind wieder entlassen, noch nicht ganz gesund, die Betten sind
knapp, viele Patienten warten im einzigen staatlichen Kinderkrankenhaus.
Danach ist sie dann mit dem Kind 4 Tage lang durch Panama City geirrt
hat auf der Straße gelebt und hat jemanden gesucht den sie kennt.
10 bekannte Personen hat sie getroffen, jeder hat ihr etwas gegeben, keiner
hatte einen Schlafplatz oder Essen für sie. Dann hatte sie endlich
das Geld für den Rückflug zusammen. In Panama City auf der Straße
leben, nachts mit krankem Kind wenn man von den San Blas Inseln kommt
- eine unvorstellbare Hölle.
4.Tag
Seit 2.30 heute Nacht waren wir beide meist wach, ständiges Gewitter
, Regen, viel Wind, der Anker ist etwas geslippt, morgens war das Meer
trübe und braun, Baumstämme schwammen zahlreich im Wasser. Bei
diesem Wetter konnten wir unmöglich zu der outpatient Klinik fahren.
Schade. Sollte ich so mit dem Dinghy zur Klinik fahren? Etwas unwohl war
mir bei dem Gedanken ja schon. Der Wind war noch stark. Aber um 7.30 habe
ich mich dann doch entschlossen, es bestand ja keine Aussicht auf Besserung.
Ich wurde stark abgetrieben, konnte kaum Kurs halten, hatte Schwierigkeiten
die Riffmarkierung zu finden, endlich bin ich aber heil angekommen.
Es fing wieder an wie aus Eimern zu schütten , alle haben sich untergestellt,
nur ich bin im Regen über die völlig vermatschten gefluteten
Wege gelaufen. In der Klinik wurde ich lachend begrüßt, habe
mich umgezogen und erst mal barfuss um nicht alles matschig zu machen
im Untersuchungszimmer mitgemacht. Wir saßen beide barfuss da. Obwohl
Dr. C.. immer mit den Patienten schimpft wenn sie barfuss kommen also
ohne Schuhe auf den Wegen laufen. Bei den vielen Hunden gibt es auch viele
Wurmeier und Larven im Sand und entsprechend viele Kinder haben Hakenwürmer,
larva migrans und eitrige Hautentzündungen. Weil die Eltern das schon
gelernt haben, kommen die Kinder alle mit Schuhwerk, oft auch mit Socken.
Die Füße sind meist noch sandig, die Schuhe eben erst angezogen
und werden sicher auch sofort wieder ausgezogen, meistens passen sie gar
nicht, sondern gehören jemand anderem.
Heute wieder das Gleiche, alle Patienten sind mangelernährt.
Dann stellt sich eine Lehrerin mit Diabetes vor. Sie bekommt orale Antidiabetika.
Aber den Blutzucker kann man hier auf der Insel nicht kontrollieren. Für
das Messgerät gibt es keine Teststreifen. Und Blut kann man mit dem
Flugzeug nicht nach Panama City schicken. Niemand würde es abholen.
Also müssen die Patienten selbst in die Stadt fliegen, wenn das Blut
untersucht werde soll. Wenn sie privat versichert sind - und das ist keiner
der Kuna auf den San Blas Inseln-, wird es noch am gleichen Tag untersucht,
abends ist das Ergebnis da, wenn nicht, findet die Untersuchung eine Woche
später statt, wann es das Ergebnis gibt weiß ich nicht...
Inzwischen kann auch hier wieder Blutzucker gemessen werden, denn eine
gute Freundin aus Deutschland, auch Ärztin hat mir inzwischen für
Playon Chico Blutzuckermessgeräte und Messstreifen geschickt. Mittags regnet es immer noch stark. Regenzeit. Die Kinder laufen nackt
und vergnügt im Regen. Was ich nett finde, sehen die Schwestern kritisch:
morgen sind sie wieder krank, guck mal wie kalt ihnen ist. In der Regenzeit
gibt es besonders viele Patienten mit Lungenentzündungen und Fieber.
Ich werde eingeladen in der Klinik Mittag zu essen, die Regierung bezahlt,
wenn die Mitarbeiter schon fern von ihren Familien leben, kann die Regierung
wenigstens Essen und Unterkunft stellen.
Schließlich lässt der Regen nach und ich mache mich wieder
auf den Weg zum Dinghy. Das Wasser steht teilweise knöchelhoch. Brot
gibt es nicht zu kaufen. Um den Ofen herum in der Hütte steht auch
das Wasser. Alles ist nass. Auch ich muss erst mal reichlich Wasser schöpfen
bevor ich zur Grete zurückfahre. Der Wind hat sich gelegt, kaum Wellen,
das Wasser ist eine braune undurchsichtige Brühe mit viel Treibgut,
das aus den Flüssen angeschwemmt wird. 5.Tag
der 3. Tag mit Dauerregen. Es regnet so stark, dass die Sicht deutlich
eingeschränkt ist. So kann ich mit dem Dinghy nicht fahren. Also
warte ich - nun bin ich schon so früh aufgestanden und kann nichts
anderes tun als zu warten. Unglaublich welche Regenmassen auf einmal herunterkommen
können. Als die Niederschläge etwas abnehmen -man kann wieder
das Hotel sehen- beschließe ich zu fahren. Wir sammeln den Regen
vom Sonnensegel, wenn man das Wasser auch nicht trinken sollte wegen der
Imprägniermittel des Stoffes, so kann man es doch zum Waschen benutzen.
Natürlich bin ich durchnässt als ich im Ort ankomme. Ganz Playon
Chico steht unter Wasser. Die Wege sind eher Kanäle, überall
Matsch, das Wasser steht überall knöchelhoch - auch in den Hütten.
Die Menschen haben keinen trockenen Zentimeter mehr - außer vielleicht
in der Hängematte. Die Dächer sind oft dicht, von außen
sieht man das Wasser in kleinen Bächen herunterlaufen und abperlen.
Aber durch die Bambuswände kommt das Wasser und unter den Wänden
durch und durch die Türen....Es ist ratsam von den Türen Abstand
zu halten, denn die Menschen versuchen ihre Hütten leerzuschöpfen
und da entleert sich schon mal ein Eimer unerwartet nach draußen..
Heute sehe ich auch kaum noch im Regen tobende Kinder , eigentlich ist
außer mir keiner auf der Straße.
Entsprechend ist auch das Bild im Krankenhaus. Patienten sind keine da,
niemand hat sich bei diesem Wetter auf den Weg gemacht. Weil nichts zu tun ist, setzte ich mich mit den Schwestern zusammen und
bitte sie mir etwas Kuna beizubringen. Das macht Spaß, ein Sprachengewirr:
Deutsch, Englisch, Spanisch, Kuna. Jetzt kann ich beim Bäcker schon
fließen fragen ob es Brot gibt ("Madu nika?") und die
Mütter ob ihre Kinder Hautprobleme haben.
Das Krankenhaus wird mir langsam vertraut. 9.Tag
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Subcentro de salud in Tupile, die Köchin in Arbeitsmola |
6.30. Ich bin gerade mit Frühstücken und Anziehen fertig als
es ruft. Ich werde mit der Lancha abgeholt. Es geht in die outpatient
Klinik. Die Wellen sind höher als ich dachte, wieder sitzen alle
zusammen, Wasser wird geschöpft, das Boot hat ein kleines Leck, Sr.
Luz wird schnell seekrank. Dann erreichen wir den Ort - können wir
das Ufer erreichen ?? Vielleicht. 2 Männer vom Dorf winken ab- Anlegen
würde trotz der Wellen wohl gehen, aber der Wind und damit die Wellen
werden zunehmen.. Wieder abzufahren wäre ausgeschlossen. Also winken
wir und kehren um. Alles umsonst, auch die Seekrankheit der armen Schwester.
Um 8.30 werde ich wieder an der Grete abgesetzt. Nach einem Frühstück
mit Reinhart, noch mal ein Kaffee, fahre ich wieder zur Klinik. Eine Mutter
fragt mich: Compra mola? Kaufst du Molas? - sie sagt sie braucht Geld
für Essen, für das Kind.
Wir haben kein Trinkwasser mehr an Bord. Auch der Ort ist ohne Wasser,
die Pipeline vom Fluss ist durch den Regen zerstört worden. 10.Tag
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Subcentro de salud in Tupile, das Arztzimmer |
Heute morgen soll es mal wieder zu einer outpatient Klinik gehen. Nach
St. Ignatio de Tupile. Diese Klinik ist nicht so abgelegen, liegt auf
einer Insel und wird 1x pro Woche besucht, das ganze Jahr über.
Als ich um 5.15 aufstehe ist es noch stockdunkel, es dämmert als
ich mich an Deck in dem Eimer mit recht braunem sandigen Flusswasser wasche.
In der Ferne sehe ich das erste Ulu (Einbaum). Frisch gewaschen, erfrischt
und wach mit einer Tasse Kaffee in der Hand sehe ich die Sonne aufgehen.
Eine wunderbare ruhige Stimmung. Es erinnert mich immer an lange Übersee
Passagen, wenn ich um diese Zeit Wache ging und der Tag anbrach. Als ich
im Ort ankomme ist es kurz vor halb sieben. Dem Regen bin ich davon gefahren.
Ich binde das Boot an, und gehe durch den Ort zum Krankenhaus. Es ist
eine ganz besondere Stimmung so früh. Alles ist so friedlich, die
Sonne steht noch sehr tief, Schulkinder auf dem Weg zum College, andere
ziehen sich im Hütteneingang gerade ihre Schuluniformen an, Frauen
schöpfen Wasser, aus dem nassen Palmendach quillt dichter Rauch von
dem in der Hütte brennenden Feuer der Kochstelle, Frauen fegen auf
den Wegen das Laub zusammen mit Palmenwedeln, man grüßt sich,
ich kenne die Menschen, es sind immer die gleichen vor ihren Häusern.
Dies ist ein besonderes Erlebnis, so friedlich entspannt und ruhig habe
ich den Ort noch nie erlebt. Im Krankenhaus werde ich freundlich vertraut
begrüßt: "benuedi..."der Dr. ist noch oben. Im 1.
Stock ist das Frühstück gerade beendet. Ich trinke noch eine
2. Tasse Kaffee Auch heute fahren wir nicht in die outpatient Klinik,
was hat die Pläne geändert?- einiges und nichts, ....Ich bin
umsonst so früh aufgestanden, erst mal sind keine Patienten da, bis
es sich herumspricht, das wir doch im Ort sind. Aber es macht nichts.
Ich sehe aus dem Fenster, die Hütten liegen in der dunstigen Luft,
Rauch steigt auf, die Bäume glänzen vom Tau, es ist so friedlich.
Dann kommen die Patienten doch. Wieder unterernährt, heute besonders
schlimm. Sie sehen ganz gut aus, aber sind viel zu klein, mit der Entwicklung
zurück: 18 Monate, 6,8 kg. Kann nicht laufen, zieht sich nicht hoch.
4 Jahre, 12kg....sieht aus wie 2,5.J
Auch wenn es mir bei manchen Kindern schwer fällt zu glauben, dass
sie unterernährt sind, obwohl die Kurven dies eindeutig sagen, ist
es bei diesen Patienten auch für mich eindeutig. Und sie leben in
der Gefahr bei dem nächsten schwereren Infekt zu sterben. Die Kindersterblichkeit
ist zwar zurückgegangen, trotzdem sterben hier viele kleine Kinder.
Sie werden nicht auf dem Friedhof begraben, sondern zu hause. Sie haben
noch keine eigene Hängematte . Erwachsene hängen in ihren Gräbern
mit ihrem ganzen Besitz. Die Säuglinge aber werden zu hause in der
Hütte unter der Hängematte ihrer Mutter begraben....
11.Tag
Heute soll es nun endlich nach St. Ignatio de Tupile gehen. Aber wir müssen
noch auf das Flugzeug warten, es hat Post an Bord, die wichtig ist und
mitgenommen werden muss.
Es ist ein Brief mit der Anweisung des Gesundheitsministers anlässlich
des Muttertages am 8.12. für alle Kuna Mütter alle Untersuchungen
und Behandlungen am 7.12. als Geschenk gratis vor zunehmen. Das wird sich
wohl kaum eine Mutter entgehen lassen. Bei 2000 Einwohnern in Playon Chico.
werden das einige 100 sein. Wie soll das zu bewältigen sein, wo soll
das benötigte Personal und die Materialien und Medikamente herkommen?
Dr.C. schimpft, es scheint eine undurchdachte politische Entscheidung
zu sein.
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Subcentro de salud in Tupile, das Wartezimmer |
Dann geht es los, in 45 Minuten -eine schöne ruhige Fahrt nach Tupile-
wird wieder kein Fisch gefangen.
Diesmal sehen wir viele kranke -sterbenskranke - Kinder: Lungenentzündung,
schwere Unterernährung, hohes Fieber mit Gewichtsverlust, Verdacht
auf Herzfehler. Ein Kind mit Pneumonie wird im Ulu nach Ailigandi verlegt.
Dort ist die größte Klinik mit 4 Ärzten. Aber als der
Patient ankommt ist kein Arzt da. Abends soll einer wiederkommen. Hoffentlich
überlebt der Patient so lange. Das Mädchen mit der Unterernährung
nehmen wir später mit zu uns nach Playon Chico.
Auch der Sahila kommt als Patient, er hat Schmerzen im Fuß. Der
traditionelle Heiler meinte er müsste auf eine Schlangenhaut in den
Bergen getreten sein, als er im letzten Jahr schon einmal das Gleiche
hatte, aber das hat er nicht bemerkt. Beeindruckend ist: Er ist genauso
arm gekleidet wie alle anderen, lebt genauso, wirkt nicht anders und ist
doch der Chef von allen. Ihm werde ich vorgestellt, er muss nicht warten,
für ihn ist auch die Behandlung frei, er ist eben der Sahila.
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Subcentro de salud in Tupile, der Kreißsaal |
Ein anderer Patient ist schon 78 Jahre alt, ist gut bekannt. Vor Jahren
wurde ihm schon ein Basaliom (Hauttumor) an der Nase operiert. Alles ist
gut verheilt. Hautkrebs ist hier sehr häufig. Er kommt, weil er sich
oft schlapp fühlt, sieht viel jünger aus, hat fast keine grauen
Haare, geht noch arbeiten, ist mit dem Ulu unterwegs. Solange alte Menschen
noch irgendetwas arbeiten können, werden sie wegen ihrer Lebenserfahrung
hoch geschätzt in der Gemeinschaft.
Ein Mädchen ist schwanger und erst 15 Jahre alt. Sehr häufig
werden junge Mädchen schwanger. Über Verhütung wird in
der Schule wenn überhaupt erst nach der 6. Klasse gesprochen. Und
dann sind viele Kindern schon von der Schule abgegangen.
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Subcentro de salud in Tupile, Krankenzimmer |
Wenn der Freund die zukünftige Mutter heiratet (nicht offiziell
juristisch, sondern traditionell) ist alles in Ordnung, wenn nicht und
die Schwangere noch unter 16 ist, muss der Mann eine Strafe von 50 USD
zahlen. Viel Geld. Aber das Geld bekommt die zukünftige Mutter nicht
wie man meinen sollte als Unterstützung, diese Strafe geht an die
Gemeinde.
Wir essen in der Klinik, wandern danach etwas durch den Ort. Sr. Gina
wohnt hier, wir bekommen eine Tasse selbstgemachten Kakao. Ein interessanter
langer Tag. Erst um 17.00 sind wir wieder in der Klinik.
13.Tag
Es regnet, nicht so stark, aber immerhin so viel, dass ich wieder Wasserschöpfen
muss im Dinghy. Das dauert dann alles viel länger als ich dachte
und ich bin erst um 7.30 im Krankenhaus.
Aber als ich mich endschuldige, heißt es: macht nichts, die Patienten
kommen jetzt auch erst langsam. Bei Regen lassen alle auf sich warten,
keiner mag so recht nach draußen. Bei Regen kann ich gerne später
kommen. Bei Regen geht alles langsamer.
So kommt auch erst gegen Mittag ein 43 Jahre alter Mann mit hohem Fieber.
Seit 3 Tagen geht das schon so. Ohne weitere Untersuchungen wird er mit
Verdacht auf Malaria zum Labor geschickt. Er war zum Fischen in einem
der großen Flüsse. Dort gibt es - wenn auch im Moment nur sehr
selten - Malaria. Der Ausstrich ist positiv, aber nun wird. mit Entsetzen
festgestellt, dass die Medikamente für Malaria nicht vorrätig
sind. Es soll ein Boot nach Ailigandi ins Krankenhaus geschickt werden,
um zu fragen, ob sie die Tabletten in ihrer Apotheke haben. Anrufen geht
nicht, denn das Funktelefon, das noch vor einigen Monaten die Krankenhäuser
miteinander verband, ist defekt, wird so schnell auch nicht wieder repariert
und in Ailigandi ist das öffentliche Telefon im Moment auch nicht
betriebsbereit. Hoffentlich macht das Boot die 1,5 Stunden lange Strecke
nicht umsonst. Als ich mich später erkundige erfahre ich, dass der
Patient dorthin verlegt wurde. Er war kurze Zeit später wiedergekommen,
es ging ihm plötzlich bedrohlich schlecht. Einige Tage später
wird er in der Klinik versterben. Trotz Behandlung.
Eine Mutter kommt mit ihren mangelernährten Kindern. Von ihr heißt
es, sie verkaufe die Trockenmilch, die kostenlos an die unterernährten
Kinder verteilt wird für 25 cent das Pfund - aber natürlich
streitet sie das ab.- Ob es wohl stimmt?
Nachmittags komme ich noch einmal wieder um Wasser zu holen und ich stelle
fest, dass ich mich im Centro Salud schon recht zu hause und ganz dazugehörig
fühle.
17.Tag
Weltweit steht San Blas an 3. Stelle der Schwangeren-Sterberate. Das wird
nur von 2 Orten in Afrika übertroffen. Das liegt daran, dass es nur
in 18 Gemeinden von 52 ein Krankenhaus oder eine Ambulanz gibt. Die anderen
Orte werden nur sporadisch (wöchentlich bis monatlich) besucht, zum
Teil in den Monaten mit Starkwind (Dezember bis März) gar nicht,
dann sind sie völlig von der Welt abgeschnitten. In dieser Situation
sind im letzten Jahr in Ukupa 2 Schwangere (Mutter und Tochter) an Malaria
verstorben!
2 Kinder waren bis gestern stationär aufgenommen, das eine nahm kein
Gewicht zu, war trotz eines Alters von über 1 Jahr nicht gewohnt
etwas anderes als Muttermilch zu sich zu nehmen.. Die Versuche es hier
an andere Nahrung zu gewöhnen und vom Löffel essen zu lassen,
waren nicht sehr erfolgreich, das Gewicht stagnierte. Und gestern sind
sie einfach gegangen ohne bescheid zu sagen, das Zimmer war irgendwann
leer.
Das andere Kind aus Tupile ist sehr krank, es soll nach Panama verlegt
werden, die Eltern hatten kein Geld, aber irgendwie wollte das Krankenhaus
die Kosten übernehmen. Die Situation war wirklich bedrohlich. Aber
der traditionelle Heiler hat versprochen das Kind in einer Woche gesund
zu machen (auch diese Behandlung ist teuer), so sind die Eltern gegangen...ob
das Kind wohl wieder gesund wird?
In Panama sollen 2 Mütter von den San Blas Inseln im Gefängnis
sein, deren Kinder an Unterernährung gestorben sind, die trotz Aufforderung
ihre Kinder in der dann schließlich bedrohlichen Situation nicht
ins Krankenhaus gebracht haben. Dr. Chen hofft auf eine abschreckende
Wirkung, solcher Maßnahmen. Ich frage mich wie sinnvoll so etwas
ist. Hat man das Recht dazu, den Kuna Indianern unsere westliche Sichtweise
aufzuzwingen?
Es gibt eine Organisation, die spezielle Einrichtungen zur kostenlosen
Behandlung von mangelernährten Kindern hat .Die Kehrseite der Medaille
ist, dass diese Kliniken in Panama City sind und die Kinder in der Zeit
der Behandlung, die oft bis zu 6 Monaten oder sogar einem Jahr dauern
kann von ihren Eltern und Geschwistern getrennt sind. Und Geld um zwischendurch
mal zu besuch zu kommen hat sicher keiner. Kommen sie zurück, haben
sie zwar ein normales Gewicht, wirken aber oft völlig verstört.
3.3.05, der vorletzte Tag
nach einer Pause sind wir nun schon wieder seit einiger Zeit in Playon
Chico. Es hat sich einiges geändert. Die Regenzeit ist vorbei, vergessen
sind die Zeiten mit Dauerregen und Gewitter. Inzwischen wurde an einem
Tag eine große Menge Kokain angeschwemmt, viele Fischer sind "fündig"
geworden. Es macht sich bemerkbar an der besseren Kleidung, den größeren
Goldketten, daran, dass viele Häuser neu gebaut wurden und in den
letzten Wochen 18 Außenbordmotoren für Einbäume gekauft
wurden. Einige Kinder, die aus Familien kommen, in denen der Geldsegen
besonders reichlich war, haben auch deutlich an Gewicht zu genommen.
Ich bin gerne hier in Playon Chico, in der Klinik fühle ich mich
sehr freundlich aufgenommen, im Ort kenne ich schon viele Menschen und
es ergibt sich ab und zu ein Gespräch, es ist mir hier alles sehr
vertraut geworden und ich bin entspannt.
In der Klinik ist es noch immer meist das Gleiche. Heute habe ich schon
wieder einen Jungen gesehen, der 3,5 Jahre alt ist, nur 9 kg wiegt und
78 cm groß ist. Diese Gewicht hat in Deutschland ein Kind mit ungefähr
1 Jahr!!
Als ich mich nach einem Kind erkundige, dass mit besonders schwere Unterernährung
nach Panama verlegt worden ist, erfahre ich, dass es dort nach 10 Tagen
in der Klinik verstorben ist. Jetzt versuchen die Angehörigen, dass
der Leichnam des Mädchens wenigstens im Heimatort der Tradition entsprechend
beerdigt werden kann. Aber dazu wird es wohl nicht kommen, denn wer sollte
die 200 USD für die Überführung zahlen?
Ich werde übermorgen hier schweren Herzens abfahren, denn mir gefällt
es hier gut und ich habe sehr gerne wieder in meinem Beruf gearbeitet.
Auf der anderen Seite trägt diese Arbeit, die natürlich verbunden
ist mit geregelten Arbeitszeiten und Verpflichtungen, auch dazu bei, die
Freiheit unseres Lebens, das durchaus auch arbeitsreich ist, aber sehr
selbstbestimmt und relativ zwanglos nicht als selbstverständlich
zu sehen und wertzuschätzen!
Und vielleicht kommen wir ja noch einmal wieder, das ist noch nicht entschieden.
Erst mal werden wir jedenfalls im Mai nach Deutschland fliegen, um Freunde
und Familie zu besuchen. Wie es danach weiter geht wissen wir noch nicht..
Katrin |
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"Nuedi", guten Tag. Priciliano stand an den Stamm einer Palme
gelehnt, drückte sich jetzt mit der Schulter ab und kam mir entgegen.
"Benuedi", wie geht es dir, antwortete ich und zog mein Dinghy
den Strand hinauf. Wir schüttelten uns die Hände und begannen
ein Gespräch über das übliche Woher und Wohin. Priciliano
war auf Mormaketupo zu Hause, einer Insel etwa 15 sm westlich von hier,
von Ordupbanedup, der Insel, auf der Katrin und ich vor knapp einem Jahr
geheiratet hatten und vor deren Strand wir unseren Anker in das glasklare
Wasser hatten fallen lassen. Er erzählte mir, dass er zur Zeit allein
unterwegs sei, dass seine Frau Adelaida mit ihrer gemeinsamen Tochter
Delaida auf Ukupseni weilte, weil Delaida dort die Schule besuchte; 26
sm weiter östlich. Und so plätscherte unsere Unterhaltung dahin.
Wir sprachen vom Wetter, das in diesem Jahr nicht der Norm entsprach.
Jetzt, im Februar - der eigentlichen Trockenzeit - hatte es fasst täglich
geregnet, während der vergangene Oktober - einer der regenreichsten
Monate - niederschlagsfrei geblieben war.
Unser Blick ging hinüber nach Esnatupile, einer kleinen Insel kaum
zweihundert Meter westlich von uns, zwischen deren Palmenstämmen
das letzte Rot der untergehenden Sonne schimmerte.
"Sag mir, Priciliano, woher kommt dein Volk, das Volk der Kuna"?
stellte ich die Frage, die ich schon lange hatte stellen wollen.
"Von weit her, aus Kolumbien, aus der Sierra Nevada de Santa Marta"
kam seine Antwort - eher zögerlich. "Aber das ist lange her",
fügte er hinzu. Und nach einer Pause -während der sein Blick
erneut zum Rot des Abendhimmels wanderte - fügte er leise hinzu:
"Das ist alles sehr lange her, mehrere hundert Jahre und was davor
war, darüber berichten unsere Alten und die Gesänge der Caziquen,
der großen Häuptlinge, und die kundigen Sailas, die Stammesoberhäupter.
Willst du es hören"?
"Si - ja, gerne" gab ich zur Antwort und blickte ihn erwartungsvoll
an.
"Dann lass uns dort hinüber gehen", er deutete auf den
Stamm einer umgestürzten Palme, auf dem wir uns jetzt nieder ließen.
Und dann erzählte er mir die Geschichte von der Entstehung der Welt
und dem Volk der Kuna, während die Nacht langsam vom Osten herauf
zog. "Bab Dummad - der große Vater - ist der Erschaffer des
Universums; er schuf auch Nan Dummad, - die große Mutter - und die
Erde ist ihr Leib und er nahm sie sich zur Frau und mit ihr zeugte er
alle Pflanzen, Tiere und Menschen. - Siehst du" unterbrach er seine
Geschichte, "so sind also wir, die Kuna, ein Teil der Natur. Und
das bedeutet, dass wir, wenn wir der Natur weh tun, wir uns selbst weh
tun und deshalb müssen wir sie schützen, um uns zu schützen."
Dann fuhr er fort: "Zusammen dachten der große Vater und die
große Mutter über die Zukunft nach - und es gab kein Ende ihrer
Gedanken; und zusammen planten sie die Ankunft der goldenen Menschen:
der Kuna.
Am Beginn aller Zeiten war alles Geist und alle Kreaturen, welche dem
Leib Mutter Erdes entsprangen, bekamen Namen und wurden über ihre
Pflichten unterrichtet. Die Medizinpflanzen wurden darin unterwiesen,
wie sie Krankheiten heilen sollten; bestimmte Tiere, wie z.B. die Peckaries,
die Tapire und viele andere wurden unterrichtet, dass sie den Kuna als
Nahrung zu dienen hätten; und die Bäume des Waldes hätten
als Bauholz zum Bau der Hütten bereit zu sein. All dies geschah um
die Ankunft der Kuna vorzubereiten. Mutter Erde gebar dann Muu, die himmlische
Großmutter und Hebamme, die ihrerseits die Tiere und Menschen gebar.
Ebenso schuf Mutter Erde zwei himmlische Wesen reinen Geistes, Olobengikiler
und Olokekebyai, welche die Erde mit Pflanzen versorgten und weitere himmlische
Geister schufen, welche für das gute funktionieren der lebenden Materie
Sorge zu tragen hatten. Die Mutter war bei ihrem Erscheinen nackt, überzog
sich dann aber mit Vegetation - ihrem grünen Kleid. Ihr Körper
war weich wie der eines neugeborenen Babys, sie lebte allein und kümmerte
sich um alles, was sie erschaffen hatte: Die Erde war ein Paradies. Es
gab kein Elend, kein Leid und keine Krankheiten. Es gab weder stechende
Insekten, noch giftige Tiere; die Pflanzen hatte keine Dornen und die
Bäume mit essbaren Früchten produzierten alle vier Tage aufs
Neue. Wann immer Nan Dummad Wild essen wollte, brauchte sie nur zu sagen:
"Ich möchte Peckarie", oder "Ich möchte Tapir"
und schon kam das entsprechende Wild in ihren Patio wo sie es mit der
Machete tötete, säuberte und über dem Feuer briet. Die
Geister der Krankheiten waren unbekannt und es gab keinen Tod.
Über allem schien die Sonne segensreich und ihre Strahlen waren so
mild, wie die des Mondes".
Priciliano schwieg für einen Moment; es war inzwischen dunkel geworden.
Dann erhob er sich, ging einige Schritte in Richtung auf die hinter uns
stehenden Palmen zu und entzündete mit wenigen, geschickten Handgriffen
ein zuvor vorbereitetes Feuer. Priciliano hatte zwischen zwei nah beieinander
stehenden Palmen seine Hängematte aufgespannt. Dahinter, als Schutz
gegen den Wind, hatte er aus Palmwedeln eine kleine Schutzwand gebaut.
Hier wollte er heute Nacht schlafen, bevor er morgen den weiten Weg zurück
nach Mormaketupu in seinem Ulu, seinem Einbaum, antreten wollte. Als das
Feuer brannte, legte er noch einige trockene Kokosnussschalen hinein,
die uns schon bald mit einer leichten Rauchwolke einhüllten und so
die lästigen Sandfliegen fernhielten.
"Aber leider blieb es nicht immer so", setzte er seine Erzählung
fort. "Schon bald kamen die ersten Menschen. Ein Mann namens Biler
und seine Frau Bursobi erschienen auf der Erde und sie hatten fünf
Söhne; jeder einzelne ein mächtiger Schamane. Diese wiederum
hatten Nachkommen, die waren halb Mensch, halb Tier. So gab es z.B. den
Jaguarmann, den Tapirmann und den roten Brüllaffenmann. Sie hatten
das Verhalten von Tieren angenommen; der Jaguarmann war grausam, der Tapirmann
hatte einen dicken Bauch und suhlte sich im Schlamm, während der
rote Brüllaffenmann den Frauen nachstellte. Einer der Söhne
von Biler und Bursobi war ein ansteckender Geist; er brachte Lähmung,
Verkrüppelung, Tumore und Gelbfiber. Ein anderer Sohn von ihnen war
der Vater der Erkältung und wieder ein anderer schuf den Sturm. Und
so veränderte sich durch die Tiermenschen das Leben auf der Erde
fundamental. Korruption und Kriminalität griffen um sich, Krankheiten
breiteten sich aus und auch Mutter Erde veränderte sich. Sie wurde
hart wie das Herz eines Baumes, die Säfte der Pflanzen wurden bitter
und die Pflanzen bekamen Dornen. Stechende Insekten waren überall.
Die Tiere des Waldes wurden wild und gefährlich, die Flüsse
verwandelten sich in der Regenzeit zu reißenden Strömen und
die Strahlen der Sonne verbrannten die Haut. Aus der beschützenden
Natur wurde eine wilde, dem Menschen gefährliche Natur.
Bab Dummad - der große Vater - sah all dies mit Sorge und er schickte
wiederholt gute Männer auf die Erde, welche die schlechten Menschen
wieder auf den Pfad der Tugend zurück bringen sollten. Diese Missionare
reisten weit über die Erde und sprachen und sangen in allen Kommunen
der Erde und warnten vor dem Zorn des großen Vaters, wenn sie nicht
ihr Leben ändern würden. Aber die Menschen hörten nicht
auf die Missionare und besuchten auch nicht mehr die abendlichen Versammlungen
im Versammlungshaus. Und so kam der große Vater zu dem Schluss,
dass das Verhalten der Menschen nicht durch Überzeugungsarbeit zu
ändern sei und er sandte Wirbelstürme und Erdbeben um die Menschen
zu strafen. Er ließ die Oberfläche der Erde sich umdrehen und
Alles und Jedes wurde in die vierte Ebene des Kosmos verbannt, wo es bis
zum heutigen Tag als Geist verblieben ist.
Und wieder wurde die Erde mit Menschen bevölkert und der Lauf der
Dinge wiederholte sich. So sandte Bab Dummad einen Mann namens Mago zur
Erde um den Menschen den "Weg des Vaters" zu zeigen und Mago
wanderte wie seine Vorgänger durchs Land und predigte den rechten
Weg. Mago nahm sich eine Frau und hatte drei Kinder, darunter ein Zwilligspärchen.
Einen Jungen namens Olonitalibipilele und ein Mädchen, dass sie Kabayai
nannten. Diese beiden wurden ein Paar und sie hatten acht Kinder. Das
erste war Dad Ibe, die Sonne und weitere sechs Brüder und eine Schwester
wurden alle zu Sternen. Zu dieser Zeit war die Erde ein Sündenpfuhl;
Krankheiten waren weitverbreitet und es gab Fledermäuse so groß
wie Pelikane und es gab keine Medizin um die ansteckenden Krankheiten
zu bekämpfen. So nahmen Dad Ibe und seine Geschwister es auf sich
diesen Übelstand zu bekämpfen. Der große Vater war ihnen
dabei behilflich indem er ihnen gute Gesänge sandte und Träume,
in denen er ihnen erzählte, wie die Heilpflanzen anzuwenden seien,
um die Krankheiten zu bekämpfen. Und sie lernten von den Medizinen
selbst und derem Geist. Zu Zeiten begab sich Dad Ibe auch direkt z.B.
zu einer Schlange um sie zu fragen welches Gegengift es gegen das ihre
gäbe und die Schlange erzählte es ihm. Und Dad Ibe zeigte sich
auch gegenüber den Geistern für ihre Informationen erkenntlich
indem er ihnen gab, was sie am meisten schätzten:
Ein berauschendes Getränk aus Chilipfeffer, Tabak und Barbasco. Auch
bediente er sich der Töchter der Geister in dem er ihnen den Hof
machte um an die Geheimnisse der Väter zu gelangen. Und so lernten
Dad Ibe und seine Geschwister alle Medizin und alle heilenden Gesänge
- und so gerüstet bekämpften sie die Übel der Erde und
die bösen Geister bis diese nur noch ein Schatten ihrer selbst waren.
Und als sie so ihre Mission beendet sahen, zogen sie sich in den Himmel
zurück".
Wieder unterbrach Priciliano seine Geschichte; sein Kehle war vom langen
Erzählen ausgetrocknet. Ich ging zum Dinghy und holte aus der Kühltasche
zwei Bier, aber Priciliano trinkt selten Alkohol und so lehnte er dankend
ab, griff sich die Machete und köpfte mit wenigen, gekonnten Hieben
eine Kokosnuss, die er auch mir zu kosten anbot. Und dann fuhr er in seiner
Erzählung fort:
"Aber die Geschichte wiederholte sich. Vier Mal war die Erde
bevölkert und vier Mal wurde diese vernichtet. Zuerst durch Sturm,
dann durch Feuer, ein drittes Mal durch Dunkelheit und zuletzt durch eine
große Flut. Als sich das Wasser der großen Flut zurückzog
erschienen Menschen auf der Erde, die den heutigen Kuna ähnlich waren.
Aber sie gingen halbnackt und hatten keine Kultur, sie kannten keine Zeremonien
und achteten nicht die Verwandtschaft und sie hinterließen ihre
Exkremente zur Verrottung nahe ihrer Dörfer. Wenig später kam
ein Mann namens Ibeorgun und seine Schwester Olokikadiryai um unter diesem
Volk zu leben und ihnen zu zeigen, wie man richtig lebt. Vieles von dem
was sie die Kuna lehrten bestand aus dem Wissen von Dad Ibe und seinen
Geschwistern und aus dem Wissen der grauen Vorzeit. Ibeorgun war ein Gandule,
ein Mann, der um die Gesänge weiß, die bei Pubertätsriten
gesungen werden. Er war goldgewandet und mit Adlerfedern geschmückt.
Er lehrte die Menschen die Rieten für Pubertät, Geburt und Tod.
Er reiste von Dorf zu Dorf und zeigte den Leuten wie sie Versammlungshäuser
bauen sollten und welche Gesänge wichtig waren. Und er unterrichtete
sie in den Formen guter Kommunikation. Olokikadiryai kam voll bekleidet
mit einem goldenen Ring in der Nase, mit silbernen und goldenen Halsbändern,
gelben Arm- und Beinreifen aus Fruchtsamen, einem Rock und einem Kopftuch,
sowie einer Molabluse. Sie zeigte den Frauen die Herstellung der Kleidung
und wie man sie zu tragen hatte; zeigte ihnen die Herstellung von Hängematten
und die Fertigung von Tongefäßen; unterwies sie in der Herstellung
von Speisen und Getränken und zeigte ihnen, wie man Kinder großzieht.
Als sie ihre Mission vollendet hatten, verschwanden sie und an ihrer Stelle
erschienen neun mächtige Schamanen um ihr Werk fortzuführen.
Es geschah zu dieser Zeit, dass weißhäutige Fremde aus einem
Land, welches man Yurub nennt, von jenseits des großen Wassers kamen,
um an der Küste Kuna Yalas zu landen".
Lange noch saßen wir um das langsam nieder brennende Feuer und
hingen schweigend unseren Gedanken nach.
"Nuedi", gute Nacht und danke, dieses Wort hat viele Bedeutungen.
Priciliano hob die Hand zum Gruß und ohne ein weiteres Wort stieg
ich in mein Dighy und setzte zur "Grete" über, wo Katrin
schon lange auf mich wartete.
Reinhart
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